Leibniz war kein Butterkeks
nicht nur »selektionsneutral«. Es könnte sogar sein, dass Eigenschaften, die einen schmerzfreien Tod gewährleisten, insgesamt mit Selektionsnachteilen verbunden sind.
Was meinst du damit?
Wie würde sich denn jemand verhalten, der überhaupt keine Schmerzen und auch keine Angst vor lebensbedrohlichen Situationen empfindet?
Er würde sich wohl auf sehr gefährliche Dinge einlassen.
Ja, und dadurch würde die Wahrscheinlichkeit steigen, dass er stirbt, bevor er geschlechtsreif geworden ist. Schmerzen und Ängste haben ja eine wichtige biologische Funktion für uns Lebewesen: Sie zeigen uns an, dass irgendetwas nicht stimmt, dass wir irgendetwas nicht mehr tun sollten, weil es zu gefährlich ist. Jemand, der über dieses biologische Warnsystem nicht oder nur in unzureichendem Maße verfügt, hat eher Selektionsnachteile als -vorteile. Und deshalb hat sich das Merkmal »Schmerzfreiheit« in der Evolution auch nicht durchsetzen können.
Also können wir festhalten, dass der Umstand, dass Sex Spaß macht und Sterben nicht, auf natürliche und sexuelle Auslese zurückzuführen ist?
Ja. Wir sind, was wir sind, und empfinden, was wir empfinden, weil bestimmte Eigenschaften in der Evolution mit Fortpflanzungsvorteilen verbunden waren, andere hingegen nicht. Wir stammen von Lebewesen ab, die erfolgreich am Wettbewerb um den Fortpflanzungserfolg teilnahmen, und so werden wir mit angenehmen Gefühlen belohnt, wenn wir dies ebenfalls tun. Mehr steckt allem Anschein nach nicht hinter den vielfältigen Erscheinungsformen der Natur! Die Evolution folgt keinem geheimen Plan, keinem verborgenen Sinn, keiner göttlichen Absicht, sondern einem ziemlich schlichten Auswahlverfahren: Was oder wer sich nicht erfolgreich genug fortpflanzen kann, scheidet aus dem Spiel aus! Das ist auch schon alles! Es hat keine tiefere Bedeutung, auch wenn wir uns das gerne vormachen.
So gesehen ist das Leben eigentlich eine ziemlich belanglose Angelegenheit, oder?
Ja. Einerseits könnte man sagen, das Leben sei »viel Lärm um nichts«, anderseits ist es jedoch das Bedeutsamste, das wir überhaupt kennen. Sinn und Unsinn des Lebens gehen Hand in Hand …
Oh, das wäre doch ein gutes Thema für unser morgiges Gespräch! Was meinst du?
Einverstanden. Bei der Gelegenheit können wir vielleicht auch eine erste Bilanz ziehen über das, was wir bis hierhin herausgefunden haben.
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»Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.« Mit diesem berühmt gewordenen Aphorismus umschrieb der griechische Philosoph Heraklit (520–460) seine Auffassung, dass die Welt nicht statisch sei, sondern sich stetig ändere. Heraklit ging nicht wie viele seiner Zeitgenossen von einem »unveränderlichen Sein der Dinge« aus, sondern von einem permanenten »Werden und Vergehen«, was später auf die eingängige Kurzformel »Panta rhei« (»Alles fließt!«) gebracht wurde. Zu Heraklits Lebzeiten musste ein solch »dynamisches Weltbild« allerdings ziemlich exotisch wirken, was dem Philosophen auch den Beinamen »der Dunkle« einbrachte.
Rund 2300 Jahre später zeigte sich jedoch, dass Heraklits Grundannahmen keineswegs »dunkel«, sondern durchaus hellsichtig gewesen waren. Denn damals, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, kam es zu der wohl tiefgreifendsten Erschütterung des traditionellen Weltbildes. Im Zentrum dieses weltanschaulichen Erdbebens stand ein Mann, der auf den ersten Blick kaum den Eindruck erweckt hätte, zu den größten Revolutionären der Menschheitsgeschichte zu gehören: Charles Darwin (1809–1882). Als der Begründer der modernen Evolutionstheorie zu seiner berühmten Schiffsreise mit der »Beagle« aufbrach, war er noch ein gläubiger Christ, der keinerlei Zweifel an der göttlichen Schöpfung der Welt hegte. Doch je genauer er die Naturphänomene beobachtete, desto größer wurde seine Skepsis. Darwin erkannte, dass die Tier- und Pflanzenarten einem kontinuierlichen Wandel unterworfen sind, der von einem natürlichen Ausleseverfahren bestimmt wird, welches für die Lebewesen häufig mit Leid, Tod und Verderben verknüpft ist. Der alte Glaube an einen Schöpfergott, der jede Art liebevoll einzeln modellierte und am Ende auch noch meinte, alles sei »gut«, ließ sich mit diesen Erkenntnissen nicht mehr in Einklang bringen.
Darwin selbst waren die gravierenden weltanschaulichen Konsequenzen seiner Theorie von Anfang an bewusst, weswegen er sich lange davor scheute, mit dieser wissenschaftlichen Bombe an die Öffentlichkeit
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