Leibniz war kein Butterkeks
sollte dich aber nicht verwundern: Denn zu allen Zeiten übertrugen die Menschen ihre historisch gewachsenen Vorstellungen von Recht und Unrecht auf die »Götterwelt«. So war es auch in jener kriegerischen Hirtenkultur, aus der heraus die biblischen Texte entstanden sind. Wirklich erstaunlich wäre es gewesen, wenn »Gott« vor 3000 Jahren für die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Abschaffung der Sklaverei eingetreten wäre oder wenn er gar eine Charta der universellen Menschenrechte aufgestellt hätte. Dergleichen ist verständlicherweise nie geschehen, denn die »Götter« waren immer nur so klug und vernünftig wie die Menschen, als deren Phantasiegebilde sie erschaffen wurden.
In Ordnung. Bist du denn wenigstens mit den mittleren der Zehn Gebote einverstanden? Die Gebote »Du sollst nicht lügen!« und »Du sollst nicht töten!« klingen doch ganz vernünftig.
Tut mir leid: Auch da kann ich nicht mitgehen! Denn Lügen und Töten sind nicht »an sich« unethisch. Es gibt durchaus Situationen, in denen solche Verhaltensweisen gefordert sind: Wer beispielsweise in der Nazizeit nicht log, sondern der Gestapo treuherzig den Aufenthaltsort jüdischer Menschen verriet, verhielt sich unethisch. Im Unterschied dazu war das Anliegen der Verschwörer um Graf Stauffenberg, die Hitler töten und damit unzähligen Menschen das Leben retten wollten, sehr wohl ethisch legitimiert.
Es ist also prinzipiell falsch, irgendwelchen Geboten oder Verboten blind zu folgen?
Ja. Wer wirklich ethisch handeln will, muss überprüfen, mit welchen positiven oder negativen Konsequenzen eine bestimmte Verhaltensweise verbunden ist. Wer etwas nur deshalb tut oder unterlässt, weil es von einer Autoritätsperson moralisch gefordert wird, ist in seiner ethischen Entwicklung auf einer recht niedrigen Stufe stehen geblieben.
Warte mal: Das erinnert mich an etwas, was wir im Ethikunterricht durchgenommen haben: die »Stufentheorie der Entwicklung des moralischen Verhaltens« nach … Verdammt, wie hieß der Mann noch einmal?
Ich denke, du meinst Lawrence Kohlberg. Er untersuchte die Entwicklung ethischer Urteile und unterschied dabei drei Hauptstufen, die wir Menschen erreichen können, nämlich die präkonventionelle Stufe , die konventionelle Stufe und die postkonventionelle Stufe . Konventionell denkende Menschen halten das für richtig, was den Konventionen, also den »sozialen Übereinkünften«, entspricht. Präkonventionelle unterschreiten dieses Niveau, postkonventionelle gehen darüber hinaus.
Richtig. Ich erinnere mich dunkel, dass jede dieser drei Hauptstufen noch mal zwei Unterstufen hatte. Und so kam Kohlberg letztlich auf sechs Stufen der moralischen Entwicklung. Wie die aber genau heißen, habe ich vergessen …
Das ist im Moment auch nicht so wichtig. Schauen wir uns die Unterschiede zwischen den Stufen an: In der »präkonventionellen Phase«, die für Kinder, aber auch für einige notorische Straftäter typisch ist, werden Regeln nur aus einem Grund befolgt, nämlich um auf diese Weise Strafen zu vermeiden (Stufe 1) oder persönliche Vorteile zu erzielen (Stufe 2). Ein wirkliches Verständnis des Sinns , den die Regeln für das Zusammenleben haben, liegt auf diesen beiden unteren Stufen noch nicht vor.
Das tritt erst mit der konventionellen Stufe auf, nicht wahr?
Ja, hier hat man die sozialen Regeln der eigenen Gruppe so weit verinnerlicht, dass man aus eigenem Antrieb heraus versucht, den moralischen Erwartungen der anderen Gruppenmitglieder zu entsprechen. Man möchte ein » guter Junge « oder ein » gutes Mädchen « sein und hat »Gewissensbisse«, wenn man gegen die geltenden Regeln verstößt (Stufe 3). Ebenfalls Ausdruck des konventionellen Moralverständnisses ist die Orientierung an Gesetz und Ordnung (»law and order«) auf Stufe 4. Auf dieser Stufe akzeptiert man die Bedeutung der bestehenden Regeln, weil man erkannt hat, dass solche Regeln zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung erforderlich sind.
Stimmt, langsam erinnere ich mich wieder: Das postkonventionelle Denken geht über das bloße Verstehen und Akzeptieren der vorhandenen Regeln hinaus, oder?
Korrekt! Auf Stufe 5 orientieren sich die Menschen an der Idee des Gesellschaftsvertrags . Soziale Regeln werden auf dieser Stufe nur noch unter der Voraussetzung akzeptiert, dass diese Regeln für die Gesellschaftsmitglieder von Nutzen sind. Stellt sich heraus, dass die geltenden Normen den rationalen Interessen der Gesellschaftsmitglieder
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