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Leibniz war kein Butterkeks

Titel: Leibniz war kein Butterkeks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lea; Schmidt-Salomon Salomon
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schön, verstehst du unter »universellen Prinzipien der Gerechtigkeit«? Darunter kann ich mir im Moment gar nichts vorstellen …
    Damit meine ich vor allem das » Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleichrangiger Interessen «. Wer dieses Prinzip beachtet, wird seine eigenen Interessen nicht einfach über die Interessen anderer stellen und auch nicht die Interessen einer bestimmten Gruppe (etwa »der Männer«, »der Weißen«, »der Deutschen«) von vornherein höher gewichten als die Interessen anderer Gruppen. Er wird sich von partikularen, also von auf Teilgruppen beschränkten Vorstellungen lösen und darauf pochen, dass gleichrangige Interessen gleichrangig berücksichtigt werden – unabhängig davon, wer der jeweilige Träger eines Interesses ist.
    Das »Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleichrangiger Interessen« zielt also darauf ab, niemanden zu diskriminieren.
    Genau! Wer ethisch denkt, sollte die Interessen eines jeden berücksichtigen, der von einer Handlung betroffen ist. Allerdings bedeutet das nicht, dass alle Interessen das gleiche Gewicht haben: So ist es natürlich unethisch, einen anderen aus Habgier zu töten, denn das Interesse an der Vermehrung des eigenen Besitzes ist keinesfalls gleichrangig mit dem Interesse am Überleben .
    Ich verstehe: Das Verbot, jemanden zu töten, gilt also nicht deshalb, weil uns das von irgendeinem »Gott« vorgegeben wurde, sondern weil wir dadurch gegen höhere Interessen des Opfers verstoßen würden. Nun hast du aber eben gesagt, dass das Stauffenberg-Attentat auf Hitler ethisch gerechtfertigt war. Wie kann das sein? Schließlich hatte doch auch Hitler ein Interesse am Überleben …
    Das Töten eines Menschen gegen dessen Willen ist stets ein schlimmes Übel. Es kann nur im extremsten Notfall legitimiert werden, nämlich dann, wenn allein dadurch größeres Übel verhindert werden kann. Diese Extrembedingung war beim Stauffenberg-Attentat erfüllt, denn der nationalsozialistische »Führerstaat« konnte ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch durch die Eliminierung des »Führers« gekippt werden. Wäre das Attentat auf Hitler geglückt, so hätte das Millionen von Menschen das Leben gerettet – deshalb waren die Handlungen des Stauffenberg-Kreises legitim.
    Und wie verhält sich das beim Töten aus Notwehr?
    Das ist ebenfalls ein solcher ethisch legitimer Sonderfall. Das Gleiche gilt für den »finalen Rettungsschuss«, der bei Geiselnehmern eingesetzt werden darf, wenn dies die einzige Möglichkeit ist, die von ihnen bedrohten Opfer zu befreien. Das »Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleichrangiger Interessen« legitimiert jedoch nicht die Anwendung der Todesstrafe bei Gefangenen. Denn weder der Wunsch nach Rache noch das eventuell vorhandene ökonomische Interesse der Gesellschaft, »Schwerverbrecher nicht durchfüttern« zu wollen, sind gleichrangig mit dem Interesse der Gefangenen am eigenen Überleben.
    Wenn das Interesse am Überleben so hoch gewichtet werden muss, was bedeutet das dann für den Schwangerschaftsabbruch? Müsste man nicht das Überlebensinteresse eines ungeborenen Kindes höher einstufen als den Wunsch der Mutter, dieses Kind nicht zu bekommen? Wie du weißt, ist das nicht meine eigene Position, aber es scheint mir fast so, als ob man aufgrund des »Prinzips der gleichen Berücksichtigung gleichrangiger Interessen« den christlichen Lebensschützern recht geben müsste, wenn sie behaupten, dass Schwangerschaftsabbruch »Mord« sei …
    Das wäre in der Tat so, wenn der Embryo oder später der Fötus eine eigenständige Person wäre, deren Interessen man gleichrangig mit den Interessen der Frau behandeln könnte. Doch das ist nachweislich nicht der Fall ! Bei seiner Einnistung ist der Embryo bloß ein Zellhaufen, der zu keinerlei Empfindungen fähig ist. Ab der achten Schwangerschaftswoche bilden sich zwar erste Nervenzellen im Gehirn, doch bis zur 18. Schwangerschaftswoche ist das zentrale Nervensystem mit den anderen Teilen des Körpers kaum verschaltet. Erst ab der 20. Schwangerschaftswoche beginnt die Entwicklung der Großhirnrinde, mit deren Hilfe Erfahrungen gespeichert werden können. In der 34. Schwangerschaftswoche ist die Entwicklung zwar weitgehend abgeschlossen, doch selbst zu diesem Zeitpunkt ist der Fötus ganz gewiss noch keine eigenständige Person.
    Warum nicht?
    Weil er noch nicht über ein »personales Ich-Bewusstsein« und daher auch nicht über ein »echtes Überlebensinteresse« verfügt, das

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