Leibniz war kein Butterkeks
noch lange nicht ethisch zwingend . Zwingend ist jedoch die Reduktion des Fleischkonsums: Wenn wir für eine artgerechte Haltung der Tiere sorgen, können wir nicht mehr so viel Fleisch konsumieren, wie dies in den modernen Industriestaaten die Regel ist. Wir müssten verstärkt auf andere Lebensmittel zurückgreifen, aber das wäre ja kein Weltuntergang …
Nein. Allerdings frage ich mich schon, wie viele Menschen bereit dazu wären, aus ethischen Gründen auf ein Steak zu verzichten. Ich meine: Was du über das »Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleichrangiger Interessen« gesagt hast, klingt ziemlich logisch und vernünftig. Aber reicht das aus, um Menschen zu einer Veränderung ihres Verhaltens zu bewegen? Warum sollten sie das »Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleichrangiger Interessen« überhaupt akzeptieren, wenn seine Anwendung möglicherweise mit Nachteilen im eigenen Leben verbunden ist?
Du sprichst hier eine der ganz zentralen Fragen der Philosophie an, nämlich: Warum sollen wir unser Leben überhaupt nach ethischen Maßstäben ausrichten? Warum ethisch handeln? Du hast völlig recht, wenn du darauf hinweist, dass es nicht genügt, festzustellen, dass ein ethisches Prinzip logisch oder vernünftig ist. Handlungsrelevant ist ein solches Prinzip nur, wenn es unseren Interessen dient, das heißt: wenn wir in seiner praktischen Anwendung eher ein Wohl als ein Übel sehen.
Demnach müsstest du zeigen, dass das »Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleichrangiger Interessen« unseren eigenen Interessen entspricht. Aber wie willst du das begründen?
Nehmen wir das generelle Tötungsverbot: Als Person hast du ein natürliches Interesse daran, nicht von anderen gegen deinen Willen getötet zu werden.
Klar. Ich will nicht getötet werden, aber mal ganz theoretisch gesprochen: Warum sollte ich deshalb auf das Recht verzichten, andere töten zu dürfen, wenn das für mich nützlich wäre?
Ganz einfach: Weil du die Norm »Niemand darf töten außer Lea Salomon« in der Gesellschaft kaum durchsetzen wirst! Wenn jeder für sich das Recht herausnehmen würde, andere zu töten, wäre das generelle Tötungsverbot schnell hinfällig – und das stünde im Widerspruch zu deinen eigenen Interessen. Anders formuliert: Der mögliche Nutzen der Freiheit, andere töten zu dürfen, ist geringer als der Schaden, der durch die Aufhebung des generellen Tötungsverbots entstehen würde. Insofern kann man zeigen, dass es sehr wohl den eigennützigen Interessen des Individuums dient, das »Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleichrangiger Interessen« zu akzeptieren.
Okay. In Bezug auf das Töten anderer Menschen kann ich das nachvollziehen. Aber im Hinblick auf das Töten oder Quälen von Tieren muss man anders argumentieren: Denn wenn wir uns alle das Recht herausnehmen würden, Tiere zu foltern, hätte ich als Person doch keinen Schaden zu befürchten!
Das ist richtig. Warum also trittst du nicht für eine solche Tierquäler-Norm ein?
Warum ich nicht für das Recht eintrete, Tiere zu quälen? Dumme Frage! Ich will natürlich nicht, dass Tiere leiden müssen.
Eben! Und das zeigt uns, dass wir unser Verständnis von »Interessen« erweitern müssen: Unser Verhalten wird nämlich nicht nur von egoistischen (auf das eigene Wohl begrenzten), sondern auch von altruistischen (auf das Wohl anderer bezogenen) Motiven bestimmt. Im Normalfall sind wir Menschen mitfühlende Lebewesen , das heißt: wir nehmen am Wohl und Wehe anderer teil, indem wir Mitfreude oder Mitleid empfinden. Arthur Schopenhauer sah darin sogar die Grundvoraussetzung aller Ethik – und ich denke, er hatte recht: Wenn wir nicht in der Lage wären, nachzuempfinden, was andere subjektiv erleben, so würden wir uns über ethische Fragestellungen keine Gedanken machen.
Dass ich nicht will, dass Tiere leiden, liegt also daran, dass ich selbst leiden würde, wenn ich ihr Leid wahrnehmen müsste …
Ja. Durch unsere Fähigkeit, uns emotional in die Lage anderer hineinzuversetzen, wird fremdes Wohl und Wehe zu eigenem Wohl und Wehe . Und deshalb haben wir auch ein eigennütziges Interesse daran, fremdes Leid, das uns zu Mitleid veranlassen würde, zu vermeiden. So gesehen ist das »Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleichrangiger Interessen« nichts anderes als eine rationale Konsequenz unseres emotionalen Vermögens, uns in die Perspektive eines anderen einzufühlen: Da wir die Fähigkeit haben, uns emotional in andere hineinzuversetzen,
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