Leibniz war kein Butterkeks
als wenn du dich bloß über den Gewinn einer Freundin mitfreuen kannst. Vielleicht erinnerst du dich: Wir sind diesem Sachverhalt schon mal in einem unserer früheren Gespräche begegnet, nämlich als wir darüber sprachen, dass wir uns die Gefühle eines anderen »ausborgen« können, beispielsweise indem wir uns mit einer Filmheldin oder einem erfolgreichen Sportler identifizieren.
Oh ja, an unser Gespräch über das Glück erinnere ich mich bestens! Denn da hast du versucht, mir das bequeme Leben auf der Couch madig zu machen, weil man, wie du meintest, selber aktiv werden muss, um echte Glücksgefühle erleben zu können.
Genau! Ich hatte gesagt, dass »simuliertes Glück« nur eine Schmalspurversion des »echten Glücks« sein kann. Nun wissen wir auch, woran das liegt: Unser Gehirn ist zwar in der Lage, fremde Empfindungen zu simulieren, aber es verknüpft diese Simulationen selbstverständlich nicht mit der gleichen emotionalen Intensität , die für unsere eigenen Erfahrungen typisch ist. Das ist zweifellos auch gut so, denn ansonsten könnten wir nicht mehr zwischen uns und den anderen unterscheiden. Dennoch ist die Simulation fremder Emotionen in der Regel stark genug, um uns davon abzuhalten, andere bewusst zu schädigen. Denn fremdes Leid, das zu »simuliertem eigenem Leid«, also zu Mitleid wird, bedeutet für uns ein Übel, das wir aus eigennützigem Interesse vermeiden.
Na ja, manche Leute scheinen gar kein Problem mit »fremdem Leid« und »eigenem Mitleid« zu haben! Wie könnten wir sonst all die grausamen Dinge erklären, die Menschen anderen Menschen antun? Doch bevor wir darüber reden, würde mich noch etwas anderes interessieren: Ich verstehe nämlich nicht, wie sich dieses »Spiegelneuronen-System« in der Evolution überhaupt durchsetzen konnte. Wo soll denn da der Vorteil liegen? Warum soll es aus evolutionärer Sicht hilfreich sein, Rücksicht auf die Interessen anderer zu nehmen? Hätte ein Lebewesen, das sich um die Empfindungen der anderen gar nicht schert, dem es völlig egal ist, wie es den anderen geht, nicht viel bessere Karten im Wettbewerb um den Fortpflanzungserfolg?
Das mag im ersten Moment plausibel klingen, doch: Würdest du einen Menschen als Freund oder gar als Sexualpartner auswählen, dem deine Empfindungen völlig egal sind, dem es absolut gleichgültig ist, ob du dich freust oder ob dich irgendetwas quält?
Natürlich nicht!
Siehst du! Und so wird es auch schon den Homo-erectus-Frauen und -Männern vor einer Million Jahren ergangen sein. Wer die Interessen anderer Gruppenmitglieder rücksichtslos übergeht, wird sozial schnell isoliert, hat also eher Selektionsnachteile als -vorteile. Schließlich geht es in der Evolution nicht nur um Konkurrenz , sondern auch um Kooperation ! Als soziale Lebewesen arbeiten wir nicht nur gegeneinander , sondern auch miteinander , um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Dabei hat sich das System der Spiegelneuronen als höchst effizient erwiesen, denn es hilft uns, einzuschätzen, wie die anderen »ticken«, wie sie auf Reize reagieren, ob sie ängstlich, mutig, entspannt oder wütend sind, ob wir im Notfall auf sie zählen können oder ob sie nur auf eine Gelegenheit warten, uns eins auszuwischen.
In Ordnung. Ich sehe ein, dass es Vorteile hat, ein Gespür für fremde Empfindungen zu besitzen. Hat sich dieses System der Spiegelneuronen eigentlich nur bei uns entwickelt oder auch bei anderen Arten?
Spiegelneuronen sind keine Besonderheit des Menschen. Man hat sie zunächst bei Rhesusaffen entdeckt, danach erst bei anderen Primatenarten. Bei Schimpansen, Bonobos und Menschen ist das System der Spiegelneuronen zweifellos am weitesten entwickelt. Das hat einen guten Grund: Denn wer in komplexen Gruppenstrukturen überleben will, braucht hohe »soziale Intelligenz«. Wahrscheinlich ist das rasante Hirnwachstum, das innerhalb von zwei Millionen Jahren bei unserem Vorfahren Homo erectus stattgefunden hat, genau auf diesen Sachverhalt zurückzuführen.
Ich dachte immer, das hätte etwas mit dem zunehmenden Werkzeuggebrauch der frühen Menschen zu tun …
Na ja, der technische Fortschritt, den Homo erectus in diesem langen Zeitraum erzielte, war doch sehr bescheiden. Dafür allein hätte es eine Verdoppelung des Hirnvolumens sicherlich nicht gebraucht. Wichtig war das Hirnwachstum vor allem für die Fortschritte in der sozialen Intelligenz : Im Laufe der Zeit wurden die Homo-erectus-Menschen sozial immer intelligenter, sie konnten
Weitere Kostenlose Bücher