Leiche in Sicht
wichtig.»
«Das Dumme ist nur, Mr. Pringle, ich
weiß nicht, wann sie zurückkommen wird», seufzte Shirley Hanson. «Eigentlich
weiß ich nicht einmal, ob sie überhaupt kommt. Haben Sie selber Kinder? Ich
habe vergessen, ob wir darüber gesprochen haben. Nein? Nun, dann können Sie
sich wahrscheinlich nicht vorstellen, wie das ist. Was haben wir heute? Ach ja,
Donnerstag. Letzte Woche Donnerstag ist sie ganz weggeblieben. Ich habe sie
erst Freitag abend wiedergesehen und nicht gewagt, sie zu fragen, wo sie war.»
Mr. Pringle stöhnte innerlich.
«Glauben Sie, daß sie heute nach Hause
kommen wird?»
«Also ehrlich gesagt, ich glaube nicht.
Heute ist Zahltag. Da fahren Donna und ihre Freunde gleich nach der Arbeit ins
Westend. Dort geben sie das Geld, das sie die Woche über verdient haben, mit
vollen Händen an einem Abend wieder aus — an morgen denken sie nicht. Und sagen
Sie jetzt nicht, ich solle mir keine Sorgen machen, das ist leichter gesagt als
getan. Man liest täglich so viele schreckliche Dinge in der Zeitung.» Mr.
Pringle stimmte ihr zu, wiederholte noch einmal seine Bitte und legte auf.
Er zögerte, direkt bei der Polizei
anzurufen. Der Detective Sergeant hatte ihn zweimal, beim letztenmal sehr
nachdrücklich, aufgefordert, ihnen die Sache zu überlassen. Doch einen Menschen
gab es, an den er sich wenden konnte. Er wählte die Nummer des gerichtsmedizinischen
Instituts.
Es meldete sich eine ältere, sehr
selbstbewußte Sekretärin. Ja, sie wisse zwar, wo Dr. Morgan sich aufhalte,
denke jedoch nicht daran, ihn zu stören. Es sei Zeit, daß die Öffentlichkeit
endlich begreife, daß Pathologen vielbeschäftigte Menschen seien. Gab es denn
jeden Tag neue Leichen, dachte Mr. Pringle erschreckt, wurden täglich Menschen
getötet? Nach einigem Zögern willigte die Sekretärin ein, wenigstens eine
Nachricht von ihm zu notieren, doch sie könne nicht garantieren, ob Dr. Morgan
sie noch heute bekäme, meistens gehe er nach der Arbeit sofort nach Hause. Mr.
Pringle verstand zwar nicht ganz, warum man dem Mann nicht Bescheid sagen
konnte, er möge noch einmal in sein Büro hineinschauen, aber daran ließ sich
nun nichts ändern. Ob vielleicht Dr. Morgan für ihn eine Nachricht
hinterlassen hätte, erkundigte er sich. Die Sekretärin verneinte. Es klang
triumphierend.
Niedergeschlagen und inzwischen
wirklich ernsthaft besorgt, hängte Mr. Pringle ein. Die Einladungskarte
verkündete in glitzernden Lettern, daß die Hochzeit auf Samstag, 11 Uhr 30
angesetzt sei, anschließend Lunch im Savoy. Für den Weg dorthin stünden
Wagen bereit. U.A.w.g. an folgende Telefonnummer auf der Rückseite. Der Karte
beigelegt war eine Skizze, auf der der kürzeste Weg zur St.-Helena-Kirche
eingezeichnet war. Das war zuviel! Mr. Pringle überwand seine Skrupel und rief
zum drittenmal bei der Polizei an. Doch der Detective Sergeant war nicht da. Da
saß er nun, sorgte sich beinahe zu Tode, und der einzige Mann, der die Feier
zum Stoppen bringen konnte, war für die «Operation Katapult» unterwegs. «Haben
Sie eine Ahnung, wann...» begann er, doch der Beamte am anderen Ende unterbrach
ihn gleich: «Das ist eine gute Frage. Das würden wir auch gern wissen. Aber ein
paar Tage wird es schon noch dauern, fürchte ich, Sir. Es ist eben ein sehr
umfangreiches Unternehmen. Soll ich ihm ausrichten, daß Sie angerufen haben?»
Noch ein paar Tage? Heute war schon
Donnerstag.
«Nein, nicht nötig. Vielen Dank.» Er
würde zu Mavis gehen. Mit irgend jemandem mußte er sprechen.
Er klopfte. Zwar besaß er einen
Schlüssel, doch hatte er immer Hemmungen, ihn zu benutzen, wenn er nicht
erwartet wurde. Die Nachbarin steckte ihren Kopf aus der hinteren Tür und rief
ihm zu: «Sie ist beim Friseur!» Ach ja, natürlich. Mavis ging ja jeden
Donnerstag, es war Teil ihrer wöchentlichen Routine.
«Vielen Dank.» Er holte den Schlüssel
aus der Tasche und schloß auf. Die Nachbarin beobachtete, hinter der Gardine
stehend, wie er ins Haus ging. Vormittags hier aufzutauchen gehörte sich
einfach nicht, fand sie. Ein Mann in seinem Alter, mochte er nun pensioniert
sein oder nicht.
Mr. Pringle setzte sich in einen
Sessel, um zu warten. Mavis hatte einige Zeitungen herumliegen, doch es hatte
keinen Zweck: Die Worte tanzten vor seinen Augen. Ein entsetzlicher Gedanke
machte ihn schwindeln. Wenn die Polizei aus unerfindlichen Gründen nicht
handelte, dann war es an ihm selbst, da etwas zu tun. Er fühlte sich einer
Ohnmacht nahe. Schon der
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