Leiche - oben ohne
bringen.
Ich war nahe dran, den Geist aufzugeben, als ich erkannte, daß es keineswegs
mein unwiderstehlicher Charme gewesen war, der sie in meine Arme geführt hatte.
Sie hatte nur sichergehen wollen, daß ich auch tief schlief — während sie das
Weite suchte.
Im Telefonbuch fand ich die
Nummer eines Autoverleihers. Man versprach mir, binnen einer halben Stunde
einen Wagen zu schicken, und bis dahin vertrieb ich mir die Zeit mit
Kofferpacken. Dann legte ich die Schulterhalfter an und verstaute den .38er
sehr sorgsam darin — weil nämlich in dem seelischen Zustand, in dem ich mich
befand, die Gefahr nicht auszuschließen war, daß ich mir ein Loch in den Fuß
schoß. Das war wirklich eine reife Leistung, dachte ich finster: Innerhalb von
24 Stunden hatte ich das Mädchen verloren, das ich beschützen sollte, dazu die
Anstandsdame und sogar meinen Wagen! Obendrein war ich so hereingelegt worden,
daß ich ums Haar ertrunken wäre — und dann hatte mich Roberta noch zum Narren
gehalten. Mein Selbstbewußtsein war arg mitgenommen.
Nicht mal die in der Sonne
glänzende Skyline von Manhattan munterte mich auf, als ich zwei Stunden später
mit dem gemieteten Wagen die Triboro Bridge überquerte. Sie erinnerte mich
lediglich an einen gewissen Sergeant Michaels und verursachte mir ein höchst
unangenehmes Gefühl in der Magengrube. Es war Samstag, weshalb ich leichter
einen Parkplatz fand. Zum Lunch ging ich in einen Drugstore, dann suchte ich
mir im Telefonbuch Carl Rennies Adresse und machte mich zu ihm auf. Er wohnte
in den East Thirties, zwischen First und Second Avenue, in einem neueren
Apartmenthaus, das von baufälligen Backsteinhäusern eingerahmt war. Ich stieg
zwei Treppen hoch und klingelte.
Er öffnete die Tür ein paar
Sekunden später und musterte mich mit höflichem Interesse im durchgeistigten
Gesicht. Er war lang und dürr, etwa 25, trug eine dickrandige Hornbrille und
schien chronisch erstaunt.
»Carl Rennie?« fragte ich
kurzangebunden.
»Ja?«
»Polizei.« Ich hielt ihm meine
Privatlizenz hin, freilich so kurz, daß er unmöglich etwas lesen konnte. »Ich
bin Sergeant Michaels und möchte Sie bitten, mir ein paar Fragen zu
beantworten.«
»Aber gern.« Er trat zurück und
wurde noch erstaunter. »Kommen Sie doch herein, Sergeant.«
Ich folgte ihm ins Wohnzimmer,
das klein und nett möbliert und ohne persönliche Note war. Er stand verlegen
herum, als ob er nicht wisse, ob er mir einen Stahl anbieten solle — oder wie
man überhaupt einen Polizisten behandelte. Er machte es mir leicht, den
landesüblichen Bullen zu spielen: kein erklärendes Wort sagen und ihn nur böse
anstarren, so, als wüßte ich genau, daß er schon acht Morde auf dem Gewissen
hatte.
»Was...« Das kam eine Oktave zu
hoch heraus, weshalb er sich heftig räusperte und es dann noch mal versuchte.
»Was hat das alles zu bedeuten, Sergeant?«
»Kennen Sie einen Mann namens
Slater?« knirschte ich, »Joe Slater?«
Er dachte so scharf nach, daß
seine Brillengläser sich zu beschlagen begannen. »Nein.« Er schüttelte
bedauernd den Kopf. »Ich fürchte, nein.«
»Er wurde vorgestern abend
ermordet«, sagte ich. »Vielleicht kennen Sie ihn eher als >Onkel Joe«
»Ich habe keinen Onkel, der Joe
Slater heißt«, gestand er, als sei das ein Verbrechen. »Ich habe nicht mal
sonst einen Onkel.«
»So nannte Ihre Freundin ihn
aber«, sagte ich barsch. »Sie ist in den Mord verwickelt, und sie hält sich
irgendwo versteckt.« Ich sah mich langsam um. »Ist sie hier?«
»Wer?« quiekte er.
»Ihre Freundin«, schnarrte ich.
»Halten Sie mich ja nicht zum besten, Rennie, sonst fahren wir aufs Revier und
reden dort mal ernsthaft miteinander.«
Sein Mund öffnete sich so weit,
daß ich seine Mandeln begutachten konnte. Endlich fand er seine Stimme wieder:
»Ich habe keine Freundin«, sagte er jammernd. »Bestimmt nicht.«
»Wollen Sie mir weismachen, Sie
hätten noch nie etwas von Lucia Borman gehört?«
»Lucia!« Seine Augen wurden
direkt feucht vor Rührung, endlich mal einen bekannten Namen zu hören. »Ist sie
dahineinverwickelt?«
»Bis zum Hals steckt sie drin«,
knurrte ich. »Und Sie auch, falls Sie sich nicht herausreden können, Rennie. Wo
ist sie?«
»Lucia?«
Ich widerstand der Versuchung,
ihm die Brille abzunehmen und ihn damit totzuschlagen. »Ja — Lucia Borman! Wo
ist sie?«
»Ich weiß nicht«, stammelte er.
»Ich hab’ sie seit zwei Monaten nicht mehr gesehen.«
»Das soll ich Ihnen glauben?«
bellte
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