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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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einnehmend hielt. «Ich hoffe, Sie sind nicht böse
     wegen unserer kleinen Meinungsverschiedenheit. Vielleicht könnten wir einmal bei einem Drink ausführlicher darüber sprechen.»
    Jacobsen antwortete nicht, aber so, wie sie ihn anschaute, sollte er sich meiner Meinung nach keine zu großen Hoffnungen machen.
     Wenn er sie umgarnen wollte, verschwendete der Profiler seine Zeit.
    Sobald Irving verschwunden war, entspannte sich die Atmosphäre in der kleinen Hütte. Ich bückte mich, um die Kamera |51| aus Toms Koffer zu nehmen. Es war eine Grundregel, immer unsere eigenen Fotos von der Leiche zu machen, ungeachtet der Aufnahmen
     der jeweiligen Spurensicherung. Doch bevor ich anfangen konnte, ertönte der Ruf eines der Beamten.
    «Ich glaube, ich hab hier was.»
    Es war der große Mann, der sich zu Wort gemeldet hatte. Er kniete auf dem Boden neben dem Sofa, griff mit einer Hand darunter
     und machte den Arm ganz lang. Dann zog er einen kleinen grauen Zylinder hervor und hielt ihn trotz der Handschuhe mit überraschendem
     Feingefühl zwischen den Fingern.
    «Was ist das?», fragte Gardner und ging zu ihm.
    «Sieht aus wie eine Filmdose», sagte er atemlos nach der Anstrengung. «Für eine Kleinbildkamera. Sie muss unter das Sofa gerollt
     sein.»
    Ich schaute auf die Kamera, die ich in der Hand hielt. Es war eine digitale, wie sie die meisten Forensiker heutzutage benutzten.
    «Fotografiert tatsächlich noch jemand mit Film?», fragte die Beamtin, die Irving das Menthol geholt hatte.
    «Nur alte Sturköpfe und Puristen», erwiderte der große Mann. «Mein Cousin schwört darauf.»
    «Steht er wie du auf Aktfotos, Jerry?», fragte die Frau und löste Gelächter aus.
    Aber Gardners Miene blieb ungerührt. «Ist etwas in der Dose?»
    Der große Agent zog den Deckel ab. «Nein, nur Luft. Aber warten Sie mal   …»
    Er hielt den Behälter ins Licht und betrachtete die glänzende Oberfläche.
    «Und?», fragte Gardner ungeduldig.
    |52| Obwohl er eine Maske trug, konnte ich sehen, wie dieser Jerry grinste. Er wackelte mit der Filmdose.
    «Fotos kann ich Ihnen nicht anbieten. Aber würde es auch ein hübscher, fetter Fingerabdruck tun?»
     
    Die Sonne ging unter, als Tom uns zurück nach Knoxville fuhr. Die Straße schlängelte sich durch steile, dicht bewaldete Hänge,
     hinter denen das letzte Sonnenlicht verschwand, sodass es dunkel wurde, obwohl der Himmel über uns noch blau war. Als Tom
     die Scheinwerfer einschaltete, war es plötzlich Nacht.
    «Du bist so still», sagte er nach einer Weile.
    «Nur nachdenklich.»
    «Verstehe.»
    Als er in die Hütte zurückgekehrt war, hatte ich mit Erleichterung festgestellt, dass er wesentlich besser aussah. Die restliche
     Arbeit war ohne Probleme vonstattengegangen. Wir hatten die Position der Leiche fotografiert und skizziert und dann Gewebeproben
     genommen. Durch die Analyse der Aminosäuren und flüchtigen Fettsäuren, die bei der Auflösung der Zellwände freigesetzt worden
     waren, würden wir den Todeszeitpunkt mit einer Toleranz von plus oder minus zwölf Stunden eingrenzen können. Im Moment deutete
     alles darauf hin, dass das Opfer seit mindestens sechs Tagen tot war, vielleicht sogar seit sieben. Und doch war die Hütte
     laut Gardner erst seit fünf Tagen vermietet gewesen. Irgendetwas stimmte nicht, und obwohl ich offenbar das Vertrauen in meine
     Fähigkeiten verloren hatte, war ich mir einer Sache sicher.
    Die Natur log nicht.
    Ich spürte, dass Tom auf eine Antwort von mir wartete. «Ich habe mich vorhin nicht gerade mit Ruhm bekleckert, oder?»
    |53| «Sei nicht zu streng mit dir. Jeder macht mal Fehler.»
    «Aber nicht so einen. Damit habe ich wie ein Amateur dagestanden. Ich habe nicht nachgedacht.»
    «Komm schon, David, so schlimm war es nicht. Außerdem könntest du ja trotzdem recht haben. Irgendetwas stimmt nicht mit der
     Todeszeit. Vielleicht war das Opfer tatsächlich schon tot, als es in die Hütte gebracht wurde. Die Leiche könnte an den Tisch
     gebunden worden sein, damit es so aussieht, als hätte der Mord dort stattgefunden.»
    So gerne ich das hätte glauben wollen, ich konnte es nicht. «Das würde bedeuten, dass der gesamte Tatort inszeniert worden
     ist, einschließlich des Blutes auf dem Boden. Und jeder, der clever genug ist, es derart überzeugend aussehen zu lassen, hätte
     auch gewusst, dass er uns damit nicht lange täuschen würde. Wozu hätte er es dann also tun sollen?»
    Tom hatte keine Antwort darauf. Die Straße führte an

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