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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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kennengelernt. Er ist Brite, aber verübeln Sie es ihm nicht. Und das ist Kyle. Er hat hier für Sie die Stellung
     gehalten.»
    Ein versonnenes Lächeln breitete sich auf Kyles Gesicht aus. «Freut mich, Sie kennenzulernen.»
    «Hi.» Summer strahlte und entblößte eine funkelnde Zahnspange. Dann schaute sie interessiert und ohne Abscheu hinüber zur
     Leiche. Für die meisten Leute wäre es ein erschreckender Anblick gewesen, aber durch die Arbeit auf der Body Farm waren die
     Studenten auf diese schaurigen Realitäten vorbereitet. «Hab ich was verpasst?»
    «Nein, er ist immer noch tot», versicherte Tom ihr. «Wenn Sie sich umziehen wollen – Sie wissen ja, wo alles ist.»
    «Klar.» Als sie sich umdrehte, stieß sie mit ihrer Tasche gegen einen stählernen Rolltisch voller Instrumente. «Sorry», sagte
     sie, rückte ihn gerade und verschwand dann durch die Tür.
    |79| Erneut legte sich eine betäubte Stille über den Autopsiesaal. Tom lächelte matt. «Summer ist der Wirbelwind der Abteilung.»
    «Habe ich gemerkt», sagte ich.
    Kyle starrte noch wie gelähmt zur Tür. Tom warf mir einen amüsierten Blick zu und räusperte sich.
    «Die Proben, Kyle?»
    «Was?» Der Assistent drehte sich um, als hätte er vergessen, dass wir da waren.
    «Du wolltest gerade die Proben fürs Labor verpacken.»
    «Ach so. Klar, kein Problem.»
    Mit einem letzten hoffnungsvollen Blick zur Tür sammelte Kyle die Proben ein und ging dann hinaus.
    «Da hat unsere Summer wohl einen neuen Verehrer», sagte Tom trocken. Als er sich wieder zum Autopsietisch umdrehte, zuckte
     er plötzlich zusammen und rieb sich das Brustbein, als würde er keine Luft bekommen.
    «Alles in Ordnung?», fragte ich.
    «Ach, nichts. Bei Hicks kann man schon mal Sodbrennen kriegen», sagte er.
    Aber er war blass geworden. Er griff nach der Schale mit den Instrumenten und rang nach Atem.
    «Tom   …»
    «Alles in Ordnung, verdammt nochmal!» Er hob eine Hand, als wollte er mich bremsen, doch dann wurde es zu einer Geste der
     Entschuldigung. «Mir geht’s gut, wirklich.»
    Ich glaubte ihm nicht. «Du hast hier schon am Morgen gearbeitet, bevor ich gekommen bin. Warum machst du nicht mal eine Pause?»
    «Weil ich keine Zeit dafür habe», entgegnete er gereizt. «Ich habe Dan versprochen, dass er so schnell wie möglich einen vorläufigen
     Bericht kriegt.»
    |80| «Und den wird er auch kriegen. Summer und ich können den Rest des Gewebes entfernen.»
    Er nickte widerwillig. «Vielleicht nur ein paar Minuten …»
    Ich schaute ihm hinterher, als er hinausging, und war erschrocken, wie gebrechlich er aussah. Er war nie ein körperlich imposanter
     Mann gewesen, aber jetzt schien er nur noch Haut und Knochen zu sein.
Er wird alt
. Das war der Lauf des Lebens. Trotzdem war es schwer zu akzeptieren.
    Toms CD war schon lange zu Ende, sodass es im Autopsiesaal völlig still geworden war. Draußen im Hauptbüro hörte ich ein Telefon
     klingeln. Niemand nahm ab, und schließlich hörte das Klingeln auf.
    Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die Überreste des Opfers. Das Skelett war mittlerweile fast vollständig vom Fleisch
     befreit worden. Zur Entfernung des zurückgebliebenen Gewebes müsste es in Lösungsmittel ausgekocht werden. Da es allerdings
     ziemlich unpraktisch war, das gesamte Skelett in ein riesiges Fass zu stecken, musste es zuerst einem weiteren, schaurigen
     Prozess unterzogen werden.
    Der Disartikulation.
    Schädel, Hüfte, Beine und Arme mussten abgetrennt werden, eine Arbeit, die sowohl Umsicht als auch rohe Gewalt erforderte.
     Jede Beschädigung, die die Knochen dabei erfuhren, musste genau festgehalten werden, damit sie später nicht mit Traumata verwechselt
     wurden, die bereits vor dem Tod existiert oder zu diesem geführt hatten. Ich hatte damit begonnen, den Schädel zu entfernen,
     und durchtrennte gerade mit größter Sorgfalt die Knorpel zwischen dem zweiten und dritten Halswirbel, als Summer zurückkam.
    In ihrer O P-Montur und mit der Schürze passte sie schon eher in die Leichenhalle, wenn da nicht die Ringe und Knöpfe |81| in Ohren und Nase gewesen wären. Das ausgebleichte Haar war unter einer Haube versteckt.
    «Wo ist Dr.   Lieberman?», fragte sie.
    «Er musste mal raus.» Ich beließ es dabei. Tom hätte nicht gewollt, dass seine Studenten von seiner Krankheit erfuhren.
    Summer nahm es hin. «Wollen Sie, dass ich mit dem Auskochen beginne?»
    Ich wusste nicht, was Tom vorhatte, aber dieser Schritt wäre sowieso

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