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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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heute Nacht passiert, für
den allumfassenden Plan von keiner großen Bedeutung ist
und dass deine wahre Arbeit unabhängig davon weitergehen
|217|
wird. Doch es klingt falsch. In Wahrheit steht jetzt mehr auf
dem Spiel. Du gibst es zwar nur ungern zu, aber die Rückschläge
haben ihren Tribut gefordert. Was jetzt kommt,
brauchst
du. Du brauchst die Bestätigung, dass du die ganzen
Jahre nicht verschwendet hast.
    Dein gesamtes Leben.
    Du hörst auf, die Linse zu polieren, und schenkst dir
ein Glas Milch ein. Irgendetwas muss die Säure in deinem
Magen aufsaugen, und zum Essen ist er zu verkrampft. Die
Milch ist jetzt seit zwei Tagen geöffnet, und angesichts der
Flocken auf der Oberfläche ist sie wohl sauer geworden.
Aber das ist einer der Vorteile, wenn man nichts riechen oder
schmecken kann. Du trinkst sie in einem Zug aus und starrst
aus dem Fenster auf die Bäume, die sich vor dem Himmel abzeichnen
. Als du das leere Glas zurück auf den Küchentisch
stellst, schimmert das weiß verschmierte Innere in der zunehmenden
Dunkelheit gespenstisch.
    Der Gedanke gefällt dir: ein Geisterglas.
    Doch die Freude verblasst schnell. Jetzt kommt der Teil,
den du am meisten hasst: das Warten. Aber lange wird es
nicht mehr dauern. Du schaust hinüber zu der Uniform, die
an der Tür hängt und in der Finsternis kaum zu erkennen
ist. Eine genaue Prüfung würde sie nicht bestehen, doch die
meisten Menschen schauen nicht genau hin. In den ersten
paar Minuten sehen sie nur eine Uniform.
    Und das reicht dir.
    Du schenkst dir noch ein Glas Milch ein und starrst dann
wieder aus dem Fenster, während das letzte Licht vom Himmel
verschwindet.

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    |218| KAPITEL 13
    Mit einer Unbeweglichkeit, die den Toten vorbehalten ist, lag der Zahnarzt noch immer genauso ausgestreckt auf dem Rücken
     wie beim letzten Mal, als ich ihn gesehen hatte. Aber ansonsten hatte er sich auffällig verändert. Das Fleisch war in der
     Sonne vertrocknet, Haut und Haar waren von ihm gerutscht wie ein ungewollter Mantel. Nach ein paar weiteren Tagen würden vom
     Gewebe lediglich spröde Sehnen übrig geblieben sein, und über kurz oder lang würde an dieser Stelle nur noch das nackte Skelett
     liegen.
    Ich war mit bohrenden Kopfschmerzen aufgewacht und hatte sofort das letzte Glas Wein des vergangenen Abends bereut. Die Erinnerung
     daran, was am Tag zuvor geschehen war, hatte meine Stimmung auch nicht gerade aufgeheitert. Beim Duschen hatte ich mich gefragt,
     was ich mit mir anfangen sollte, bis ich von Tom hörte. Aber eigentlich stand meine Entscheidung fest.
    Ich hatte genug davon, Tourist zu sein.
    Der Parkplatz war beinahe leer gewesen, als ich an der Body Farm angekommen war. Die Forschungseinrichtung lag noch im Schatten,
     und ich zitterte, als ich in der kühlen Luft des frühen Morgens einen Overall anzog. Ich holte mein Telefon hervor und überlegte,
     ob ich es anlassen sollte oder nicht. Normalerweise schaltete ich es aus, bevor ich durch das Tor ging, weil es mir respektlos
     erschien, die Stille auf |219| dem Gelände mit Telefonklingeln zu stören, doch jetzt wollte ich Toms Anruf nicht verpassen. Eine Weile erwog ich, das Handy
     im Vibrationsmodus zu belassen, doch dann hätte ich nur den ganzen Morgen auf das charakteristische Summen gewartet. Außerdem
     wusste ich im Grunde, dass Tom Gardner sowieso erst später anrufen würde.
    Kurz entschlossen schaltete ich das Telefon aus und steckte es weg.
    Ich hängte mir die Tasche über die Schulter und ging zum Tor. Obwohl es noch früh am Morgen war, war ich nicht der Erste.
     Drinnen kamen mir plaudernd ein junger Mann und eine junge Frau in Schutzkleidung entgegen, beide offenbar Studenten. Sie
     grüßten mich freundlich und gingen dann ihrer Arbeit nach.
    Nachdem sie weg waren, legte sich Stille über das Waldgelände. Wenn das Vogelgezwitscher nicht gewesen wäre, hätte ich das
     einzige Lebewesen dort sein können. Es war kühl, die Sonne stand noch nicht hoch genug, um durch die Bäume zu scheinen. Als
     ich den bewaldeten Hang hinauf zu der Stelle ging, wo die Leiche des Zahnarztes lag, benetzte Tau die Hosenbeine meines Overalls.
     Der Schutzkäfig aus engem Maschendraht, in dem die Leiche lag, war dafür bestimmt, dass ich den Verlauf der Verwesung ohne
     den Einfluss von Insekten oder Aasfressern beobachten konnte. Es war zwar keine neuartige Forschungsmethode, aber ich hatte
     sie zuvor noch nie selbst durchgeführt. Und Testreihen aus erster Hand waren immer besser,

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