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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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als es auf zehn Uhr zugegangen war,
     hatte er ihr gesagt, sie solle Feierabend machen. Während sie im Umkleideraum gewesen war, hatte sie aus einem der Autopsiesäle
     ein Krachen gehört. Und als sie hineingelaufen war, hatte sie Tom nicht bei vollen Bewusstsein auf dem Boden gefunden.
    «Es war ein Glück, dass sie noch da war», sagte Paul mir. «Wenn sie ihn nicht gefunden hätte, hätte er dort stundenlang liegen
     können.»
    Er und Sam waren gerade aus der Notaufnahme gekommen, als ich eintraf, und mussten im hellen Sonnenlicht blinzeln. Sam sah
     ruhig und gefasst aus, ja beinahe erhaben. Die weit fortgeschrittene Schwangerschaft ließ sie gelassen aussehen, im Gleichgewicht
     mit sich selbst. Im Gegensatz dazu wirkte Paul ausgezehrt und von Sorgen gequält. Er hatte erst von dem Herzanfall erfahren,
     als Mary ihn am Morgen aus dem Krankenhaus angerufen hatte. Tom war in der Nacht in einer Notoperation ein Bypass gelegt worden.
     Immer noch |223| bewusstlos, lag er auf der Intensivstation. Angesichts der Umstände war die Operation gut verlaufen, aber es bestand stets
     die Gefahr eines weiteren Anfalls. Die nächsten Tage würden kritisch werden.
    «Wisst ihr sonst schon etwas?», fragte ich.
    Paul zuckte mit den Achseln. «Nur dass es ein schwerer Anfall war. Wenn er nicht so nah bei der Klinik gewesen wäre, hätte
     er es vielleicht nicht geschafft.»
    Sam drückte ihrem Mann den Arm. «Aber er hat es geschafft. Sie tun für ihn, was sie können. Und wenigstens waren die Ergebnisse
     der Computertomographie in Ordnung, das ist doch eine gute Nachricht.»
    «Sie haben eine Computertomographie gemacht?», fragte ich überrascht. Das war bei Herzanfällen nicht üblich.
    «Einen Moment haben die Ärzte gedacht, er könnte einen Schlaganfall gehabt haben», erklärte Paul. «Er war völlig durcheinander,
     als er eingeliefert wurde. Offenbar dachte er, Mary wäre etwas passiert und nicht ihm. Er war ziemlich aufgeregt.»
    «Ich bitte dich, Schatz, er war kaum bei Bewusstsein», entgegnete Sam. «Und du weißt doch, wie Tom ist, wenn es um Mary geht.
     Er hatte wahrscheinlich nur Angst, dass sie sich Sorgen macht.»
    Paul nickte, aber ich konnte sehen, dass er dennoch besorgt war. Mir erging es nicht anders. Die Verwirrung könnte dadurch
     verursacht worden sein, dass Toms Gehirn nicht genügend Sauerstoff erhalten hatte oder dass aus seinem ungleichmäßig schlagenden
     Herzen ein Blutgerinnsel in die Arterien gelangt war. Wenn er tatsächlich einen Schlaganfall gehabt hätte, wäre dies bei der
     Computertomographie erkannt worden, aber es war trotzdem ein weiterer Grund zur Sorge.
    |224| «Mein Gott, ich wünschte nur, ich wäre gestern nicht weg gewesen», sagte Paul zerknirscht.
    Sam strich ihm über den Arm. «Das hätte auch nichts geändert. Du hättest nichts tun können. Solche Dinge passieren.»
    Aber es hätte nicht sein müssen
. Ich verfluchte mich, seit ich die Nachricht bekommen hatte. Wenn ich mir auf die Zunge gebissen hätte, anstatt Hicks zu
     provozieren, wäre der Pathologe vielleicht nicht so versessen darauf gewesen, mich von der Ermittlung zu verbannen. Dann hätte
     ich Tom einen Teil der Arbeit abnehmen und vielleicht sogar die Anzeichen eines drohenden Herzanfalls bemerken und etwas dagegen
     unternehmen können.
    Aber es war anders gekommen. Und nun lag Tom auf der Intensivstation.
    «Wie geht es Mary?», fragte ich.
    «Sie hält sich tapfer», sagte Sam. «Sie ist die ganze Nacht hier gewesen. Ich habe ihr angeboten, bei ihr zu bleiben, aber
     ich glaube, sie ist lieber allein mit ihm. Und ihr Sohn fliegt vielleicht später her.»
    «Vielleicht?»
    «Wenn er sich von New York losreißen kann», sagte Paul sarkastisch.
    «Paul   …», ermahnte Sam ihn. Sie lächelte mich schwach an. «Wenn du hallo sagen willst, würde sich Mary bestimmt freuen.»
    Tom war natürlich zu krank für Besucher, aber ich hatte sowieso kommen wollen. Als ich losging, hielt mich Paul zurück. «Kannst
     du später in der Leichenhalle vorbeikommen? Ich muss etwas mit dir besprechen.»
    Ich sagte, dass ich kommen würde. Erst in dem Moment dämmerte mir, dass im Grunde nun er der Direktor des Forensischen |225| Forschungsinstituts war. Die Beförderung schien ihm keine Freude zu bereiten.
    Kaum betrat ich die Notaufnahme, löste der klinische Geruch nach Antiseptikum Herzrasen bei mir aus. Er rief Erinnerungen
     an meine Zeit im Krankenhaus wach, die ich aber schnell unterdrückte. Meine Schuhe

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