Leichenblässe
auf das fast leere Klinikgelände und tauchte den Abend in einen goldenen
Schimmer. Ich drückte erneut die Wähltaste. Dieses Mal ertönte das Freizeichen. Ich verlangsamte meinen Schritt und wartete
darauf, dass jemand ranging.
Komm
schon. Nimm ab.
Nichts geschah. Frustriert beendete ich den Anruf. Doch als ich mein Handy senkte, hörte ich so etwas wie ein entferntes Echo.
Irgendwo klingelte ein Telefon.
Es hörte auf, ehe ich feststellen konnte, woher der Ton gekommen war. Ich wartete, hörte aber lediglich das Vogelgezwitscher
und den Verkehr in der Ferne. Obwohl ich mir sagte, dass es wahrscheinlich nur ein Zufall gewesen war, wählte ich die Nummer
erneut.
Ein einsames Klingeln durchbrach die abendliche Stille.
Ungefähr dreißig Meter entfernt erkannte ich einen teilweise von Büschen verdeckten Münzfernsprecher. Im Moment benutzte ihn
niemand. Ich glaubte noch immer an einen Zufall, als ich den Anruf beendete. Das Klingeln hörte auf.
Ich ging hinüber und wählte erneut. Das öffentliche Telefon klingelte wieder. Es wurde lauter, während ich näher kam, und
ertönte leicht verzögert zu dem leiseren Ton meines Handys. Dieses Mal wartete ich, bis ich nur wenige Schritte entfernt war,
ehe ich die Verbindung unterbrach.
Stille setzte ein.
Das Münztelefon hatte lediglich ein Hartschalendach und war nach allen Seiten hin offen. Es war rundherum von den Büschen
überwuchert worden, sodass es im Grün zu versinken schien. Jetzt wusste ich, warum die Leitung entweder besetzt gewesen war
oder niemand abgenommen hatte, wenn |243| ich angerufen hatte. Krankenhäuser gehörten zu den wenigen Orten, wo auch heutzutage noch Münztelefone benötigt wurden. Die
Patienten konnten sich so bei ihren Angehörigen melden oder ein Taxi rufen. Doch wenn es klingelte, machte sich niemand die
Mühe, ranzugehen.
Ich beugte mich in die Zelle, ohne das Telefon zu berühren. Es konnte keinen Zweifel daran geben, dass jemand am Abend zuvor
von hier aus Tom angerufen hatte, der Grund dafür war mir jedoch völlig schleierhaft. Bis ich auf den Weg zurückschaute, den
ich gekommen war. Durch die wuchernden Zweige der Büsche hatte ich einen perfekten Blick auf den Eingang des Leichenschauhauses.
Und konnte jeden sehen, der herauskam.
[ Navigation ]
|244| KAPITEL 15
«Sie glauben also, der Mörder hat gestern Nacht Dr. Lieberman angerufen.»
Jacobsens Stimme war so monoton, dass man unmöglich wissen konnte, was sie dachte.
«Ja, das halte ich für möglich», sagte ich.
Wir saßen im Restaurant meines Hotels, vor mir stand der Teller mit den Resten meines Abendessens. Ich hatte Gardner von der
Klinik aus angerufen, nachdem ich seine Nummer im Telefonbuch von Toms Handy gefunden hatte. Da ich mit seiner Skepsis gerechnet
hatte, hatte ich mir vorher meine Argumente zurechtgelegt. Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass er nicht rangehen würde
und ich meinen Verdacht seiner Mailbox erklären musste.
Anstatt Details zu erläutern, hatte ich nur gesagt, dass ich glaubte, der Mörder könnte sich bei Tom gemeldet haben, und Gardner
um Rückruf gebeten. Ich hatte angenommen, dass sich der TB I-Agent das Münztelefon selbst anschauen und es vielleicht auf Fingerabdrücke überprüfen lassen wollte, obwohl ich bezweifelte, dass
man noch jetzt, nachdem der Apparat bereits vierundzwanzig Stunden lang von anderen Leuten benutzt worden war, brauchbare
Spuren finden würde.
Aber es ergab keinen Sinn, in der Klinik zu warten, bis Gardner meine Nachricht erhielt und mich zurückrief. Mit |245| einem etwas unguten Gefühl war ich zu meinem Wagen gegangen und zurück ins Hotel gefahren.
Fast eine Stunde verstrich, ehe ich etwas hörte. Ich hatte gerade das Essen bestellt, als mein Telefon klingelte, am anderen
Ende war jedoch nicht Gardner, sondern Jacobsen. Sie hatte nach der Nummer gefragt, die ich Toms Handy entnommen hatte, und
mich gebeten zu warten. Eine Weile war es still in der Leitung gewesen, und ich vermutete, dass sie die Information an Gardner
weitergegeben hatte. Als sie sich wieder meldete, sagte sie mir, dass sie in einer halben Stunde bei mir sein würde.
So lange brauchte sie jedoch nicht. Als ich aufschaute und sie das Restaurant betreten sah, schob ich meinen Teller weg. Der
Appetit war mir plötzlich vergangen. Jacobsen trug dieses Mal ein schwarzes Kostüm, dessen eng sitzender Rock bei jedem Schritt
raschelte, als sie zu meinem Tisch kam. Sie hätte eine
Weitere Kostenlose Bücher