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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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zugesetzt. Auf meinen Anruf hin hatte er ein Institutstreffen abgebrochen, und als er hereingekommen war, hatte ich ihm
     die Anstrengungen der letzten Tage angesehen. Er hatte tiefe Falten um die Augen und sich offenbar so hastig rasiert, dass
     an manchen Stellen seines blassen Kinns schon wieder dunkle Stoppeln wuchsen.
    Er versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken. «Entschuldige.»
    «Willst du einen Kaffee?», fragte ich.
    «Später.» Er bemühte sich, sich zusammenzureißen. «Was ist mit den Halswirbeln der Überreste aus dem Wald? Hast du die auch
     schon überprüft?»
    «Ja, als ich auf dich gewartet habe. Zwei Wirbel fehlen, aber der Rest ist unbeschädigt. Einschließlich des sechsten», berichtete
     ich ihm. Das war keine Überraschung. Willis Dexter war bei einem Autounfall gestorben und nicht ermordet worden wie Noah Harper
     und Terry Loomis.
    «Bei beiden Opfern wurde also ein gleichmäßiger Druck auf den Hals ausgeübt, der kräftig genug war, um feine Haarrisse auf
     den Laminae des sechsten Wirbels zu verursachen, ohne das Zungenbein zu brechen.» Paul hob seine Hände und betrachtete sie.
     «Kannst du dich erinnern, wie groß Yorks Hände waren?»
    «Nicht groß genug dafür.» Das Einzige, was mir von Yorks |277| Händen wirklich in Erinnerung geblieben war, waren die Nikotinflecken auf den Fingern. Aber sowohl Loomis als auch Harper
     waren erwachsene Männer gewesen. Man hätte eine riesige Handspanne gebraucht, um die Finger so weit um den Hals zu legen,
     dass beim Zudrücken Frakturen im Halswirbel entstanden. Und dabei wäre bestimmt auch das Zungenbein gebrochen.
    «Höchstwahrscheinlich hat er sie nicht mit den Händen erwürgt, sondern eine Schnur oder eine Garrotte benutzt», sagte Paul.
     «Jedenfalls muss er etwas bei beiden Opfern an exakt der gleichen Stelle um den Hals gebunden haben, sonst wäre nicht jedes
     Mal der gleiche Wirbel auf identische Art beschädigt worden. Allerdings wird man schwer feststellen können, was genau er benutzt
     hat», meinte Paul nachdenklich.
    «Tom hat es herausgefunden.»
    Er schaute mich überrascht an. «Tatsächlich?»
    «Erinnerst du dich, was er zu Mary gesagt hat, als er ins Krankenhaus eingeliefert wurde?
Spanisch
. Damals wussten wir nicht, was er damit meinte.»
    Es war ein weiteres Zeichen für Pauls Müdigkeit, dass er eine Weile brauchte, bis er die Verbindung hergestellt hatte. «Spanische
Schlinge
. Mein Gott, da hätte ich gleich draufkommen müssen.»
    Ich auch. Bei einer bedrohlichen Blutung oder Abtrennung eines Beines knotet man als Erste-Hilfe-Maßnahme eine Bandage oder
     ein Stück Stoff um den Oberschenkel, schiebt einen Stab dazwischen und dreht ihn herum. Das ist die sogenannte Spanische Schlinge.
     Im Grunde handelt es sich um eine improvisierte Aderpresse, die je nach Bedarf enger gezogen oder gelockert werden kann. Eine
     einfache Vorrichtung, die unzählige Leben gerettet hat.
    Aber nicht auf die Weise, wie York sie benutzt hatte.
    |278| Ich musste an die Fotografien denken, die das TBI in Yorks Garage gefunden hatte. An die gequälten Mienen seiner Opfer, an
     ihre dunklen und angeschwollenen Gesichter, in denen das Blut stockte, während York die Schlinge immer mehr zuzog und sie
     langsam, aber sicher erwürgte.
    Und sie dabei fotografierte.
    Ich verdrängte die Bilder schnell wieder. «York ist vielleicht nicht einmal klar gewesen, dass er irgendeinen sichtbaren Beweis
     zurücklässt. Er konnte unmöglich wissen, dass die Laminae beschädigt worden sind. Und selbst wenn ihm die rosa verfärbten
     Zähne aufgefallen sind, war ihm die Bedeutung wahrscheinlich gar nicht bewusst. Das ist ein ziemlich seltenes Phänomen.»
    «Das alles führt uns zurück zu dem Blut in der Hütte», sagte Paul. «Loomis wurde erdrosselt, es kann also unmöglich nur von
     ihm stammen. Woher kommt es dann?»
    «Vielleicht auch so ein Spiel von York?», überlegte ich laut. Irgendwann würde uns die DN A-Analyse Gewissheit verschaffen, ich hatte aber bereits eine Vermutung zur Herkunft des Blutes.
    Wenn ich recht hatte, mussten wir vielleicht nicht warten, bis die Testergebnisse endlich vorlagen.
    Paul zuckte müde mit den Achseln. «Ich habe vorhin mit Gardner gesprochen. Er hat es zwar nicht richtig zugegeben, aber er
     nimmt deine Theorie über Tom anscheinend ziemlich ernst. Auf jeden Fall kann das TBI nicht ausschließen, dass York es jetzt,
     wo Tom tot ist, auf ein anderes Mitglied aus dem Ermittlungsteam abgesehen hat.»
    Darauf

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