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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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war nicht zu sehen, er hatte seine Schicht wahrscheinlich längst beendet. An einer Stelle war der Gang düster, weil eine
     Leuchtstoffröhre ausgefallen war. Unter der Tür eines der Büros sickerte ein schmaler Lichtstrahl hervor. Als ich daran vorbeiging,
     ertönte drinnen eine Stimme.
    «Wer ist da?»
    Ich erkannte das schlechtgelaunte Geblaffe sofort und wusste, dass es am klügsten wäre, einfach weiterzugehen. Nichts, was
     ich sagen könnte, würde etwas verändern. Es würde Tom nicht wieder lebendig machen.
Lass es sein. Es
lohnt sich nicht.
    Ich öffnete die Tür und ging hinein.
    Hicks saß hinter dem Schreibtisch und wollte gerade eine Schublade schließen, hielt aber inne, als er mich sah. Seit der Auseinandersetzung
     auf dem Friedhof waren wir einander nicht mehr begegnet. Für einen Augenblick sprach keiner |282| von uns. Die Lampe warf einen schwachen Lichtschein auf den Schreibtisch, der Rest des kleinen Büros war finster. Der Pathologe
     starrte mich mürrisch aus dem Halbdunkel an.
    «Ich dachte, Sie wären einer der Sektionsgehilfen», brummte er. Vor ihm stand ein Glas, das halb voll mit einer dunklen Flüssigkeit
     war. Vermutlich hatte ich ihn dabei gestört, die Flasche wegzustellen.
    Ich war mit der Absicht in das Büro gegangen, Hicks die Meinung zu sagen. Doch als ich ihn sah, wie er da zusammengesackt
     hinter seinem Schreibtisch saß, verging mir die Lust auf eine Konfrontation. Ich drehte mich um und wollte gehen.
    «Warten Sie.»
    Die Lippen des Pathologen bewegten sich, als würde er ihm fremde Worte ausprobieren, bevor er sie aussprach.
    «Es tut mir leid. Die Sache mit Lieberman.» Er musterte die Schreibtischunterlage und malte mit einem dicken Zeigefinger ein
     abstraktes Muster darauf. Als ich bemerkte, wie schmuddelig und zerknittert sein cremefarbener Anzug war, wurde mir klar,
     dass er ihn jedes Mal getragen hatte, wenn ich ihn gesehen hatte. «Er war ein guter Mann. Wir kamen nicht immer miteinander
     aus, aber er war ein guter Mann.»
    Ich sagte nichts. Wenn er versuchte, sein schlechtes Gewissen zu erleichtern, wollte ich ihm nicht dabei helfen.
    Aber das schien er auch nicht von mir zu erwarten. Er nahm das Glas und starrte trübsinnig hinein.
    «Ich mache diesen Job jetzt seit dreißig Jahren, und wissen Sie, was das Schlimmste daran ist? Jedes Mal, wenn jemand an der
     Reihe ist, den man kennt, macht es einen wieder fassungslos.»
    Er schob seine Lippen vor, als würde er sich diese Feststellung durch den Kopf gehen lassen. Dann erhob er das Glas |283| und leerte es. Leise stöhnend beugte er sich hinab, öffnete die Schublade und brachte eine fast volle Flasche Bourbon zum
     Vorschein. Einen schrecklichen Moment lang dachte ich, er wollte mir einen Drink anbieten und einen rührseligen Toast auf
     Tom ausbringen. Doch er füllte nur sein Glas nach und legte die Flasche zurück in die Schublade.
    Ich stand da und war gespannt, was er noch zu sagen hatte, aber er starrte nur ins Leere, als hätte er vergessen, dass ich
     da war, oder als wünschte er, ich wäre nicht da. Welches Bedürfnis auch immer ihn dazu veranlasst hatte, etwas zu sagen, schien
     sich erschöpft zu haben.
    Ich ließ ihn allein.
    Die Begegnung verwirrte mich. Die bequemen Schwarzweißkategorien, nach denen ich Hicks beurteilt hatte, waren brüchig geworden.
     Ich fragte mich, wie viele Nächte er schon allein in seinem Büro gesessen hatte, ein einsamer Mann, dessen Leben, abgesehen
     von seiner Arbeit, leer war.
    Ein unangenehmer Gedanke.
    Als ich das Leichenschauhaus verließ und zu meinem Wagen ging, konnte ich den Verlust Toms wie einen handfesten Schmerz in
     meiner Brust spüren. Die Nacht war kälter als üblich, und die feuchte Luft erinnerte daran, dass der Winter noch nicht lange
     her war. Meine Schritte hallten von den dunklen Gebäuden wider. Krankenhäuser sind nie vollständig verlassen, aber wenn die
     Besuchszeiten vorbei sind, können sie sehr einsame Orte sein. Und Leichenschauhäuser liegen stets abseits der öffentlichen
     Blicke.
    Bis zum Parkplatz war es nicht weit, und ich hatte meinen Wagen an einer offenen, gut beleuchteten Zone in der Mitte abgestellt.
     Aber auf dem Weg dorthin geisterte mir Gardners Warnung durch den Kopf. Was bei Tageslicht sicher erschienen war, wirkte jetzt
     völlig anders. Hauseingänge sahen aus |284| wie dunkle Löcher, die Grünflächen, die ich bei Sonnenschein schätzte, waren nun undurchdringliche schwarze Flecken.
    Ich achtete darauf,

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