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Leichendieb

Leichendieb

Titel: Leichendieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrícia Melo
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wenn ich mit ihr redete? Ihr die Wahrheit erzählte? Dona Lu wiederholte ständig, dass sie mich mochte.Sie mag dich dafür, dass du ihren Wagen chauffierst, Over. Ihr die Tür aufhältst und zumachst. Dafür, dass du sagst, ja, danke, gnädige Frau. Gewiss doch. Wenn ich Júnior wäre, überlegte ich, würde sie zahlen. Aber du bist nicht Júnior, Over. Júnior, das sind die anderen, Over. Sie. Die einen Helikopter haben. Die Drogen hatten allerdings Júnior gehört, dachte ich im Stillen. Das heißt, nicht speziell diese Drogen, sondern die vorherigen, die schon verkauft waren. In gewisser Weise war Júnior Bestandteil meiner Bredouille. Wenn man es recht bedachte, säße ich ohne Júnior jetzt überhaupt nicht der Patsche.
    Während ich mich zu Hause umzog – ich war schon spät dran, um zur Arbeit zu fahren –, bemerkte ich, dass ich kein Geld mehr hatte. Ich kletterte hoch, um die letzten Geldscheine, die Moacir mir einen Tag vor seiner Verhaftung gegeben hatte, aus dem Versteck zu holen. Und dabei fiel mein Blick auf Júniors Rucksack.
    Ich nahm ihn heraus und leerte seinen Inhalt auf meinem Bett aus: Kreditkarten, Schlüsselbund, Personalausweis, Führerschein. Ich schaute mir noch einmal die Fotos auf den Ausweisen an. Gutaussehender Typ, dieser Júnior. Machte was her. Ich setzte seine Brille auf und ging mich im Spiegel betrachten. Nur sie werden reich geboren. Die Júniors. Nur sie stürzen mit ihren Privatflugzeugen ab.
    Ich schaltete das Handy an. Sie haben neun Nachrichten, stand auf dem Display. Geben Sie Ihren Pincode ein, sagte die Tonbandstimme. Ich versuchte es mit den Zahlen von Júniors Geburtstag. Fehlanzeige. Die Nachrichten kamen, als ich einen Teil seiner Personalausweisnummer eingab. Um wie viel Uhr kommst du an? fragte Dona Lu. Dein Vater möchte heute früh zu Abend essen, er verreist morgen. Ruf mich an. Ich liebedich, mein Sohn. Eine andere Nachricht war von Daniela, seiner Freundin: Hallo, Liebling, Gi hat uns heute zu sich eingeladen. Ricky und Laura kommen auch. Gabi ist ebenfalls da. Wenn du ankommst, ruf mich zu Hause an.
    Die anderen Nachrichten waren von Dona Lu, und es war offensichtlich, dass sie erst nach dem Unfall hinterlassen worden waren. Eigentlich waren sie nur ein einziges Schluchzen und Stöhnen, ein pochender Schmerz, der sich einem ins Hirn bohrte. Wenn ich den genauen Moment angeben sollte, an dem mir die Idee kam, Dona Lu zu erpressen, dann würde ich sagen, dass es dort auf dem Bett war, als ich die aufgezeichneten Nachrichten abhörte. Ich hatte das Gefühl, dass in dem Moment etwas an die Oberfläche gelangte, ein Teil von mir, der versunken am Boden meines Sumpfes lag, das Böse, Over. Und was, wenn du die Familie erpressen würdest? Over. Wenn du sagen würdest, du weißt, wo sich die Leiche befindet? Und wenn du Geld für die Leiche verlangen würdest? Over.
    Ich mochte Dona Lu sehr, aber das hinderte mich nicht daran, auf diese furchtbare Idee zu verfallen. Das, dachte ich, ist die reine Schlechtigkeit. Und ich bin ein guter Mensch. Wenn ich schon kein guter Mensch bin, dachte ich, dann bin ich zumindest kein völlig schlechter. Ich bin ein ganz normaler Mensch. Ein halbwegs guter. Eigentlich bin ich neutral. Ich sündige permanent. Jawohl, ich habe diese Verkäuferin in den Abgrund gestürzt. Mit einer Ohrfeige. Jawohl, ich hatte eine Affäre mit der Frau meines Cousins. Ich habe in meinem Leben ziemlich viel gelogen. Aber bestimmte Dinge tue ich einfach nicht. Ich töte nicht. Ich stehle nicht. Ich bin auch nicht imstande, den Schmerz einer Mutter auszunutzen. Oder eine Mutter zu erpressen, die leidet. Mit der Leiche ihres eigenenSohnes. Eine Gelegenheit, Over. Eine Mutter, die du kennst und die Dona Lu heißt. Fünfzigtausend Dollar, Over. Wenn diese Niederträchtigkeit in mir war und emporsteigen wollte, dann würde ich ihr den Garaus machen.
    Du bist ein Esel, Over. Das sagte mir mein inneres Funkgerät, das sich nicht mehr ausschalten ließ. Ich dachte, und mein persönlicher Gesprächspartner, Over, dachte das Gegenteil, versuchte mir ständig zu zeigen, dass ich verkehrtlag, dass Gutsein, Over, genau wie Gott, eine Erfindung war, dass der Mensch schlecht geboren und im Laufe der Zeit noch schlechter wird und dass ich sehr wohl meinen teuflischen Plan weiterverfolgen sollte.
    Während ich mich noch in diesem Zwiespalt befand, hatte ich mich umgezogen und war fertig, um zur Arbeit zu fahren, aber schon wieder ganz verschwitzt und traute mich nicht

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