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Leichendieb

Leichendieb

Titel: Leichendieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrícia Melo
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hinaus in die Hitze; genau in dem Moment, als ich überlegte, bei den Berabas anzurufen und zu sagen, dass ich mich nicht wohl fühlte, rief Dalva mich an.
    Wo bist du?, fragte sie. Aufgeregt bat sie mich, ins Krankenhaus zu kommen. Dringend.
    Ich verstaute alles wieder hinter der Klappe und rannte los.
18
    Schrecklich, sagte Dalva, als ich im Krankenhaus ankam, einfach schrecklich. Heute früh war dieses Mädchen da, die Freundin von Júnior. Dona Lu hatte den Tag eigentlich gut begonnen,ich hatte sie sogar dazu bewegen können, ein wenig Milch zu trinken. Wir hatten einen Spaziergang im Garten gemacht, sie hatte auf der Veranda ein Sonnenbad genommen, es ging ihr richtig gut, wir haben uns unterhalten, sie fragte, ob es noch lange dauern würde, bis du kämst, sie wollte gerne in die Kirche fahren, nun, ich dachte, es wird ein besserer Tag, aber dann kam Daniela, du weißt ja, wie sie ist, ich habe noch nie etwas Verwöhnteres gesehen als Dani, die verzogene Göre, sie kam direkt aus dem Schönheitssalon, Finger- und Fußnägel perfekt angemalt, man konnte sogar noch den Lack riechen, verstehst du? Frischen Nagellack. Und plapperte los, sie würde leiden, sei deprimiert, sie halte das nicht mehr aus, und ich sah immerzu nur diese rot lackierten Nägel. Das Mädchen geht also zur Maniküre und leidet? Das ist mir zu hoch. Leid trägt keine rot lackierten Nägel. Schau dir Dona Lu an. Die Frau putzt sich nicht mal die Zähne, wenn ich ihr nicht die Zahnpasta auf die Zahnbürste tue, nicht mal das kriegt sie zustande. Haare kämmen. Ich bin es, die Dona Lu anzieht. Und die da geht zur Maniküre. Sofort lagen sich die beiden weinend in den Armen, ich habe das Mädchen zur Seite genommen und gesagt, hören Sie zu, Dani, es ist besser, wenn Sie gehen, Dona Lu ist sehr schwach, sie verträgt so viel Gefühlswallung nicht. Aber Dani tat ganz naiv, umarmte mich, weinte und blieb, schluchzte und beklagte sich über das Leben. Als sie ging, musste Dona Lu sich hinlegen, du weißt ja, die Ärmste ist so klapperdürr, so schwach, dass sie sich kaum auf den Beinen halten kann. Als ich ihr mittags ihre Suppe brachte, fand ich sie am Boden neben den leeren Tablettenschachteln. Schrecklich.
    Ich war fix und fertig, nicht nur wegen Dona Lu, sondern weil ich mir den ganzen Vormittag lang überlegt hatte, aufwelche Weise ich die Frau betrügen könnte, die versucht hatte sich umzubringen. Und die mich mochte. Die mir vertraute. Wie würde ich Dona Lu etwas Böses antun können?
    Dalva ging Obst kaufen, und Seu José fuhr nach Hause, um zu duschen, ich komme gleich wieder, sagte er. Ich blieb allein im Vorzimmer sitzen und schaute dem Kommen und Gehen der Krankenschwestern zu.
    Es war gegen vier Uhr, als ich ein Rascheln vernahm, Dona Lu war leise wie eine alte Katze. Ich ging ins Zimmer hinein, sie war wach. Ich fragte, ob sie irgendetwas brauche. Erklärte, dass Seu José und Dalva eigentlich schon wieder zurück sein müssten, dass ich nicht weggehen würde, dass sie ganz beruhigt sein könne. Sie lächelte hilflos, ich hielt ihr die Hand und sagte, ich würde völlig verstehen, was sie durchmachten. Und dann fing ich an, die Geschichte meines Vaters zu erzählen, auf eine Weise, wie ich es noch nie zuvor getan hatte. Jahrelang war es, als schämte ich mich für das, was mit meinem Vater passiert war. Wie kann es sein, dass ein Mensch aufwacht, frühstückt, Frau und Sohn küsst, zur Arbeit geht, bis später sagt und nie wiederkommt? Ich hatte stets geglaubt, das Problem wäre ich, nicht mein Vater. Meine Mutter. Dabei war sie das Problem. Wir beide zusammen waren meinem Vater ein schwerer Klotz am Bein. Und dann, muss ich gestehen, hatte ich Schwierigkeiten, ein Ende wie dieses zu begreifen. So enden Menschen einfach nicht, dachte ich. Das war ein Fehler im System. Ein Fehler von irgendwem. So jedenfalls dachte ich, aber an dem Tag erzählte ich die Geschichte anders. Vielleicht, weil es mir zumindest dort im Krankenhaus so vorkam, als gehörten Dona Lu und ich demselben Klub an, dem Klub derer, die nicht wissen, was mit ihrer eigenen Familiepassiert ist. Dem Klub derer, die es als Letzte erfahren. Ich war selbst überrascht von meinem Mut an diesem Tag. Es braucht ein gewisses Maß an Unverfrorenheit, um von Verlassen zu sprechen, auch wenn es keine Schuldigen gibt. Ich redete freimütig, erzählte, dass mein Vater aus dem Haus gegangen war und sich in Luft aufgelöst hatte, nicht mal in dem Schuhladen, in dem er als

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