Leichendieb
eine Leiche besorgen, Over. Egal, wie oft ich mir selbst sagte, dass ichnicht imstande war, bestimmte Dinge zu tun, mein unsichtbares Funkgerät war nach wie vor in Betrieb und setzte mir böse Ideen in den Kopf. Man meint, die Entfernung zwischen Denken und Handeln sei groß. Man sagt sich selbst, denken ist nicht gleich tun, man sagt: Ich denke bloß grauenhafte Sachen, was nicht heißt, dass ich auch grauenhafte Sachen tun werde. So entstehen Pläne. Man sagt sich, es ist bloß eine Denkübung. Man baldowert alles aus, und im entscheidenden Moment steigt man aus. Man ersinnt einen teuflischen Plan, der im Wesentlichen darin besteht, sich das Leid von Trauernden zunutze zu machen. Die Details sind makaber: Man ruft Dona Lu an, Over, und sagt, man wisse, wo sich die Leiche ihres Sohnes befindet. Man erzählt eine glaubwürdige Geschichte von einem Angler, der eine Leiche im Wasser des Rio Paraguay gefunden hat. Man sagt zu Dona Lu, wenn Sie ihren Sohn wiederhaben wollen, werden Sie zahlen müssen. Zweihunderttausend Dollar.
Mit dem Geld würde ich meine Schulden begleichen und mein Leben in Ordnung bringen. Je weiter ich meinen makabren Plan ausfeilte, umso angewiderter fühlte ich mich. Und umso stärker angezogen. Wie konnte ich nur auf eine derart abwegige Idee verfallen?
Als ich am Ende des Tages meinen Wagen vor Moacirs Fahrradwerkstatt parkte, kam Serafina zu mir und wollte mit mir reden. Sie war gerade von einem Besuch bei ihrem Stamm zurückgekehrt und machte sich Sorgen wegen ihres Sohnes. Zumindest stellte ich mir vor, dass es das war, was sie mir erzählte, während ich die Treppe zu meinem Zimmer hochstieg. Vor lauter Nervosität sprach sie nur Guató. Beruhige dich, Serafina, es wird sich alles klären, sagte ich, in der Hoffnung, einen Moment alleine zu sein.
Als ich die Indianerin endlich losgeworden war, sah ich, dass Sulamita auf meinem Bett saß.
Hallo, sagte sie und deutete auf Júniors Rucksack.
Kannst du mir erklären, was das hier ist?
19
Es war Sulamitas freier Tag, und sie hatte beschlossen, zu Hause auf mich zu warten. Sie war gegen drei gekommen und hatte mein Zimmer in Ordnung gebracht. Ich habe deine Schubladen aufgeräumt, sagte sie, habe das Bettlaken gewechselt, das Bad saubergemacht, und als ich frisch geduscht auf dem Bett lag und fernsah, hörte ich ein Telefon klingeln. Und es war nicht meins. Das Klingeln kam von oben. Ich habe einen Stuhl genommen, die Bodenklappe geöffnet, und in dem Zwischenraum unterm Dach habe ich dann den Rucksack mit dem Telefon und den Papieren des verschwundenen Piloten gefunden.
Die Hitze, die die Asbestschindeln verströmten, raubte mir alle Kraft. Ich zog das Hemd aus und legte mich neben Sulamita.
Beim nächsten Mal schalt das Telefon aus, ehe du es versteckst, Over. Wenn sie die Wahrheit hören wollte, nichts leichter als das, dachte ich, ich musste nur den Mund aufmachen, Over, die Worte sprudelten völlig mühelos und unzensiert heraus. Ich erzählte alles, was geschehen war, vom Fischen im Rio Paraguay, der Explosion am Himmel, dem Absturzder einmotorigen Maschine und wie der Junge direkt vor meinen Augen gestorben war. Ich berichtete von meinem Versuch, ihn zu retten. Weißt du, warum der Sicherheitsgurt gelöst und die Türen des Flugzeugs offen waren, als es gefunden wurde?, fragte ich. Weil ich versucht habe, ihn zu retten. Ich wiederholte diesen Hinweis mit einem gewissen Stolz, Sulamita sollte begreifen, dass ich vor allem versucht hatte, dem Piloten zu helfen, aber sie unterbrach mich andauernd, warum hast du nicht die Polizei gerufen? Warum arbeitest du im Haus seiner Familie? Du lügst, sagte sie. Und dieser Rucksack? Und das Handy hier? Sie machte sich gar nicht erst die Mühe, die Antwort anzuhören, stopp, sagte ich, stopp und hör zu, rühr mich nicht an, sagte sie. Mein Fehler, erklärte ich, mein Fehler besteht darin, dass ich den Sicherheitsgurt gelöst habe, das war mein Fehler, und wenn ich verurteilt werden muss, dann deswegen und dafür, dass ich die Türen des Flugzeugs offen gelassen habe. Und das Handy hier? Und dieser Rucksack? Was hätte er damit anfangen sollen?, fragte ich. Er war tot, sagte ich. Ich dachte, dass das Zeug weder ihm noch seiner Familie fehlen würde. Du bist in dem Flugzeug gewesen, behauptete sie. Du kanntest den Jungen. Ich erzählte alles noch einmal von vorn, erklärte, dass der Pilot vermutlich von der Strömung mitgerissen und von den Piranhas gefressen worden war, das ist meine Theorie,
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