Leichendieb
dem Gitter befestigt und Moacir dazu gezwungen, sich aufzuhängen.
Weißt du, was wir machen, wenn eine Leiche hier ankommt?, fragte Sulamita. Wir setzen uns neben sie und unterhalten uns mit ihr. Ein Toter erzählt alles. Wir stellen ihn auf den Kopf, schneiden ihn von oben nach unten auf, weiden die Eingeweide aus, sezieren ihn, holen sein Gehirn heraus. Schau nur, sagte sie und deutete auf eine tiefe, unregelmäßige Furche in Moacirs Hals. Dieses Mal hier ist ein Zeichen dafür, dass er sich erhängt hat. Wenn es sich um ein Verbrechen handeln würde, verliefe die Furche rings um den ganzen Hals und befände sich nicht nur im vorderen Teil. Und es gäbe dann auch Kampfspuren. Sieh hier, sagte sie und zeigte auf den Schulterbereich, er hat weder Abschürfungen noch Prellungen.
Ich brauche Schutz, sagte ich. Egal, was du bei der Autopsie gesehen hast, sie haben Moacir umgebracht, diese Bolivianer haben mir gesagt, dass sie ihn umbringen würden.
Ich berichtete in allen Einzelheiten von meinem Gespräch mit Ramírez, sagte, dass ich der nächste sein würde, dass man mich, wenn ich meine Schulden nicht bezahlte, irgendwo im Fluss treibend oder aufgeknüpft wie Moacir auffinden würde. Ich brauche Polizeischutz, wiederholte ich mehrmals, ich flehte Sulamita an, mir zu glauben, und je öfter sie mich bat, Ruhe zu bewahren, umso nervöser wurde ich, du bist wiediese Fahnder in den schlechten Krimis, die die Ermittlungen behindern und in Kauf nehmen, dass unschuldige Menschen sterben.
Wer ist hier unschuldig?, fragte sie, und die Art und Weise, wie sie fragte, gefiel mir nicht.
Ich zitterte unkontrolliert. Du kapierst wohl nicht, sagte ich. Ich brauche Schutz.
Du bist derjenige, der nicht kapiert, unterbrach sie mich. Red doch keinen Blödsinn. Es war Selbstmord, und das behaupten nicht die Polizei und nicht die Bolivianer. Ich behaupte es. Ich höchstpersönlich. Und was soll dieses dumme Gerede von wegen Schutz? Willst du jetzt vielleicht zur Polizei gehen und gestehen, dass du der Besitzer des Kokains bist, das bei Moacir sichergestellt wurde? Ist das dein Plan? Wenn ja, dann nur zu. Denn diese Leute werden bloß bereit sein, dir Schutz zu gewähren – und zwar einen Schutz, der praktisch nichts wert ist, wenn jemand dich tatsächlich umbringen will –, wenn du hingehst und tust, was Moacir zu keinem Zeitpunkt getan hat. Das Maul aufmachen. Moacir war sehr diskret. Er hat dich geschützt.
Die Vorstellung, mich zu stellen, erschien mir gar nicht mal so verkehrt. Aber wenn sie Moacir drinnen im Gefängnis getötet hatten, warum sollten sie dann nicht auch mich töten?
Sulamita brachte mich hinaus, geh zum Auto, sagte sie. Minuten später kam sie mit einer Coca-Cola wieder. Du musst eines verstehen, bat sie mich. Ich habe es wirklich nachgeprüft. Nach der Obduktion bin ich ins Gefängnis gefahren. Ich habe mit Joel gesprochen. Mit Alfredão, dem Gefängnisaufseher, der Moacir vormittags gefunden hat. Alfredão hat mir erzählt, als er in die Zelle gekommen sei, habe Moacir noch eine Erektiongehabt, er hatte gerade ejakuliert. Es war wirklich Selbstmord, sagte sie. Alles spricht dafür.
Wir blieben eine Weile dort stehen, ich trank zitternd meine Coca-Cola und überlegte, ob es wohl eine Möglichkeit gäbe, wie ich mich retten könnte.
Der einzige Ausweg war mein Plan. Projekt Leiche, Over.
22
Der Tag war verregnet, aber es trudelten trotzdem ununterbrochen Leute ein. Manche warfen nur einen Blick auf den Toten und gingen wieder. Andere wollten Genaueres über den Selbstmord erfahren. Sie kamen nicht etwa, weil sie den Inhaber der Fahrradwerkstatt gekannt oder gemocht hatten, sondern weil es in der Gegend nicht oft passierte, dass sich jemand das Leben nahm. Hier, dachte ich, derweil ich die Schaulustigen bei ihrem kurzweiligen Vergnügen beobachtete, bringen die Menschen sich nicht um, sie sterben einfach. Durch eine Kugel in die Brust. Werden überfahren. Oder verfaulen schlicht und ergreifend. Wenn ich mir das Leben nehmen wollte, sagte eine alte Frau, dann niemals mit einem Strick. Sogar Hunde bringen sich um, erklärte eine andere.
Der Sarg wurde zwischen Herd und Sofa platziert. Serafina hatte die Nacht über Totenwache gehalten und döste nun auf die Leiche gestützt.
Eliana saß tuschelnd neben Alceu. Wie eine glückliche Biene summte sie dem Schlachter ins Ohr, achtete auf niemandenals auf Alceu, würdigte den Leichnam ihres Mannes nicht eines Blickes.
Hör auf, sie so anzustarren, sagte
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