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Leichendieb

Leichendieb

Titel: Leichendieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrícia Melo
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sagte ich.
    Draußen spielten die Kinder Seilspringen, und einen Moment lang hörte ich nichts als das Seil, das im Gleichklang mit den Schlägen meines Herzens auf den Asphalt peitschte. Ohne die Folgen abzuwägen, erzählte ich den Rest der Geschichte, dass ich im Inneren des Flugzeugs ein Kilo Schnee gefunden und die Drogen verkauft hatte, dass das der Grundwar, weshalb ich den Unfall nicht der Polizei gemeldet hatte. Ich sprach von meiner Vereinbarung mit Ramírez, sagte, dass Moacir mein Partner sei, und erzählte weiter bis zu dem Gespräch, das ich an diesem Morgen mit dem Bolivianer geführt hatte. Je länger ich redete, umso weiter wich Sulamita zurück, niedergeschmettert, als wären meine Worte ein Betäubungsgas; am Ende saß sie auf meinem Bett, den Kopf in die Hände gestützt, starrte zu Boden. Das ist nicht wahr, wiederholte sie.
    Ich erzählte ihr auch von meiner Arbeit und den Umständen, wie ich im Hause Beraba gelandet war. Ich faselte irgendetwas von Geiern und faulem Fleisch, im Grunde, sagte ich, habe ich wohl Sehnsucht nach meiner Mutter gehabt, danach, wie sie weinte, vielleicht dient diese Arbeit wirklich nur dazu, dass ich gemeinsam mit Dona Lu leide, so wie ich mit meiner Mutter gelitten habe, vielleicht ist dieser Stellvertreterschmerz eine Art Stellvertreterlust, sagte ich, nicht wortwörtlich, sondern wirrer, ich sprach von meiner Mutter und von meinem Vater, davon, wie sehr die beiden mir fehlten, vermischte alles mit Dona Lu und gelobte zum krönenden Abschluss, nichts werde sich ändern, wir machen weiter nach Plan, im Grunde habe ich nichts Falsches getan, ich bemühe mich, so gut ich kann, sagte ich. Du musst mir vertrauen.
    Ich verspürte enormen Frieden, nachdem ich Sulamita meine Sünden gebeichtet hatte, es war, als gehörte diese Last jetzt auch ihr, mir und ihr, uns beiden, genau wie die Hochzeit, die sie mir aufgenötigt hatte, dachte ich. Ich setzte mich aufs Bett und versuchte, sie zu umarmen, aber sie entzog sich. Ich solle gehen, sagte Sulamita, und zwar direkten Wegs zur Polizei.
    Wir saßen noch eine Weile schweigend da, und dann fragte sie mich, wie ich so gegen sie hatte handeln können. Das hatüberhaupt nichts mit dir zu tun, antwortete ich, aber sie bombardierte mich weiter mit Fragen, was soll jetzt passieren? Was wird aus dir werden? Aus mir?
    Wenn du mir hilfst, sagte ich, können wir einen Ausweg finden. Wie?, wollte sie wissen. Glaubst du etwa, du kannst die Polizei austricksen, Júniors Familie täuschen, die Dealer überlisten, alle Welt an der Nase herumführen? Wie willst du fünfzigtausend Dollar für Ramírez auftreiben?
    Ich fragte sie, ob es eine Möglichkeit gäbe, das Kokain zurückzubekommen. Was redest du da?, fauchte sie. Meinst du, ich kann in die Wache reingehen, die Drogen nehmen und sagen, Joel, das hier gehört meinem Freund? Mein Gott, du hast auch von nichts eine Ahnung. Du bist verrückt.
    Vielleicht, sagte ich, wenn du deinen Freunden bei der Polizei erklärst, Over, ich hatte nicht den Mut, den Satz zu beenden. In dem Moment warf Sulamita sich schluchzend aufs Bett und sagte, ich hätte nicht das Recht, so mit ihrem Leben umzuspringen, mit ihrer Familie, woher hast du nur die Chuzpe, alles kaputtzumachen? Meine Träume? Ich habe gar nichts kaputtgemacht, sagte ich, alles, was ich getan habe, war für uns beide. Hör auf mit dem Gewäsch, sagte sie, du bist ein Egoist.
    All das bekam mir überhaupt nicht, die Hitze, Sulamitas Weinen und draußen der Scherenschleifer, der an seinem Schleifstein arbeitete. Ich überlegte, dass es gar keine schlechte Idee wäre, meine Messer zu schleifen, bloß um von hier wegzukommen.
    Genau in dem Moment, als ich das dachte, stand Sulamita auf, nahm ihre Sachen und ging. Knallte die Tür zu, ohne sich zu verabschieden.
20
    Ich nahm eine kalte Dusche, wurde davon aber nur noch unruhiger. Die ganze Nacht tat ich kein Auge zu. Es war sehr heiß, und ich wälzte mich im Bett herum und überlegte, was ich machen sollte. Und wenn Sulamita mich anzeigte? Und wenn Ramírez mich umbrächte? Der heißeste Tag des Jahres, hieß es im Radio. Sie meldeten: Sechzehn Menschen bei religiösem Großereignis zu Tode getrampelt. Sie meldeten: Besetzung einer Bastion der Taliban. Sie meldeten: Iran reichert Uran auf fünfundzwanzig Prozent an.
    So weit, so gut, sagte ich mir. Ich bin nicht religiös, bin kein Aufständischer, und ich lebe auch nicht im Iran. Und noch kann ich abhauen, zurückgehen nach São Paulo, Over.

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