Leichenfresser - Thriller
antworte!«
Barry schlug sich auf die Stirn. »Oh Scheiße. Die Fahrräder stehen oben, Mann. Wenn sie die sieht, weiß sie, dass wir irgendwo in der Nähe sind.«
»Na und? Wir haben die Räder im Unkraut versteckt. Außerdem sind wir unter der Erde. Sie kann uns nicht finden.«
»Ja, aber wenn sie an dieser Stelle sucht, könnte sie das Ofenrohr bemerken und Verdacht schöpfen.«
»Scheiße. Du hast recht.« Timmy dachte an seinen Großvater. Auch ihm hatte das Ofenrohr den Standort der geheimen Festung verraten.
Rasch bliesen sie die Laterne aus, kletterten die Leiter nach oben und rannten zu den Fahrrädern. Timmys Mutter stand etwa 50 Meter entfernt auf der unteren Straße des Friedhofs. Sie hatte ihnen den Rücken zugekehrt. Als sie sich ihr näherten, rief sie wieder, die Hände an den Mund gelegt.
Timmy radelte auf sie zu, bevor er auf ihr Geschrei reagierte.
»Ich bin hier, Ma.«
Elizabeth Graco wirbelte herum und Timmy erkannte überrascht, dass sie weinte. Schwarze Wimperntusche lief ihr die Wangen hinab. Ihre Augen waren gerötet und verquollen, ihre Züge wirkten hektisch und besorgt.
»Timmy, wo warst du? Wir suchen dich schon überall!«
Sein Mut verließ ihn. Er steckte in Schwierigkeiten. Anscheinend war es seinem Großvater nicht gelungen, seinen Vater zu überreden, Timmy den Tag freizugeben.
»I-ich war nur ...«
»Komm mit nach Hause. Dein Vater ist unterwegs zum Krankenhaus in Hanover.«
Timmys Herzschlag beschleunigte sich. »Zum Krankenhaus? Was ist passiert? Geht es ihm gut?«
»Es dreht sich um deinen Großvater.« Sie holte tief Luft. »Er ... er hatte einen Herzinfarkt.«
»Opa?«
Schluchzend nickte seine Mutter.
»Was ist mit Opa?«
»Die Sanitäter glauben, es war ein Herzinfarkt«, wiederholte sie.
»Wird er wieder gesund?«
Erneut begann sie, zu schluchzen.
»Ma? Geht es ihm gut?«
»Nein, er ... er ist von uns gegangen, Timmy. Er ist gestorben.«
Drei
Dane Graco hatte einen schweren Herzinfarkt erlitten, kurz nachdem Timmy und Doug das Haus verlassen hatten. Er war schon vor dem Eintreffen des Krankenwagens tot gewesen. Timmys Mutter hatte ihn zusammengesackt auf der Couch vorgefunden, als sie ins Wohnzimmer gekommen war, um Timmy aufzufordern, seinem Vater im Garten zu helfen.
Obwohl am nächsten Morgen Sonntag war, gingen die Gracos nicht in die Kirche – zum ersten Mal seit dem Winter im Vorjahr, als sie alle die Grippe gehabt hatten. Elizabeth besuchte die Kirche jeden Sonntag, weil sie aufrichtig gläubig war. Randy ging aus Rücksicht auf seine Frau mit. Seine Überzeugungen waren eher pragmatischer Natur. Timmy musste mit, weil man ihm keine andere Wahl ließ. Er wusste noch nicht, woran er glaubte.
Die nächsten Tage bliesen sie im allzu stillen Haus Trübsal. Ohne Dane Gracos quirlige Anwesenheit wirkte es leer. Randy und Timmy fühlten sich zu benommen, um etwas anderes zu tun, als die Wände anzustarren. Beide weinten immer wieder und Elizabeth bemühte sich so gut wie möglich, sie zu trösten. Sie gab ihr Bestes, um für ihren Ehemann und ihren Sohn stark zu bleiben. Es genügte nicht. Randy nahm sich in der Papierfabrik einige Tage frei, informierte die Freunde seines Vaters sowie entfernte Verwandte, traf Vorbereitungen für das Begräbnis und versuchte, sich irgendwie zu beschäftigen. Auch das genügte nicht.
Timmy blieb zumeist in seinem Zimmer und tröstete sich mit seinen Comicheften. Er versuchte, seinen Kummer hinter sich zu lassen, indem er sich in Geschichten über Männer in bunten Kostümen flüchtete, um nicht an seine eigene Realität denken zu müssen. Und auch das genügte nicht.
Die Beisetzung fand am darauf folgenden Dienstag in der Golgotha-Kirche statt. Für den Sommer herrschte kühles Wetter. Der Himmel präsentierte sich grau und bewölkt, den ganzen Vormittag fiel ein leichter Nieselregen. Das Umfeld passte zu Timmys Stimmung. Als er zur Totenfeier die Kirche betrat, hörte er gedämpfte Stimmen. Er folgte seinen Eltern durch die Türen des Vorraums ins Innere und blieb am Eingang stehen. Der Anblick, der ihn erwartete, verblüffte ihn, und einige Momente lang ließ ihn die schiere Zahl der Anwesenden den Umstand vergessen, dass sein Großvater in einem Sarg im vorderen Bereich des Gotteshauses lag. Alle waren da. Barry und seine Eltern. Clark Smeltzer wirkte nüchtern und aufrichtig, als er den Gracos sein Beileid aussprach und Timmy die Hand schüttelte, als wäre am vorigen Samstag nichts zwischen ihnen vorgefallen.
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