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Leichenfresser - Thriller

Leichenfresser - Thriller

Titel: Leichenfresser - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Keene
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nun anfühlen mochten. Schaudernd holte er tief Luft und hielt den Atem an. In seinen Ohren schrillte ein hoher, konstanter Ton, in seinem Mund breitete sich Trockenheit aus. Sein Herz hämmerte in der Brust. Seufzend ließ er die Luft aus der Lunge entweichen.
    Seine Mutter schlang einen Arm um ihn und küsste ihn auf den Kopf. Sie roch nach Fliederseife und Haarspray.
    »Alles in Ordnung, mein Schatz?«
    Timmy nickte.
    »Die Bestatter haben wirklich gute Arbeit geleistet. Es sieht so aus, als schläft Opa nur, oder?«
    Am liebsten hätte Timmy sie angeschrien. Nein, es sah keineswegs so aus, als schliefe Opa nur. So sah es ganz und gar nicht aus. In Wirklichkeit sah die Gestalt im Sarg nicht mal wie Opa aus.
    Mit zwölf kannte Timmy die widersinnigen Plattitüden durchaus, auf die Erwachsene manchmal zurückgriffen. »Tu, was ich sage, nicht, was ich tue«, gehörte dazu und stand weit oben in der Beliebtheitsskala. Schon oft hatte er gehört, wie Mr. Smeltzer Barry gedroht hatte, er würde ihm das Fell über die Ohren ziehen, sollte er Barry und seine Freunde je dabei erwischen, Alkohol zu trinken oder Zigaretten zu qualmen; dabei begann und beendete Clark Smeltzer jeden Tag sturzbetrunken und rauchte vor Anbruch des Abends zweieinhalb Schachteln.
    »Es ist zu deinem Besten« – ein weiteres Beispiel. Als Timmy noch kleiner gewesen war, hatte er es so verstanden, dass es einen unsichtbaren Komplizen namens Sudaim Besten gab, den nur seine Eltern zu sehen vermochten. Timmy hatte einmal eine Taube mit seinem Luftgewehr erschossen. Sein Vater erteilte ihm daraufhin Hausarrest und nahm ihm die Waffe fort – Tauben ohne Erlaubnis zu erschießen, galt im Staat Pennsylvania als illegal. Zwei Tage später war sein Vater zur Jagd nach Potter County aufgebrochen. Bei der Rückkehr nach Hause hatte er damit geprahlt, drei Rehe geschossen zu haben, eines mehr als gesetzlich zulässig, und er hatte das dritte einem Freund geschenkt. Wieso hatte Timmy für das unerlaubte Erlegen einer Taube Hausarrest bekommen, obwohl sein Vater im Wesentlichen dasselbe getan hatte? Es war »Sudaim Besten«. Hatte tatsächlich sein unsichtbarer Gefährte den tödlichen Schuss abgegeben?
    Auch der Weihnachtsmann, die Zahnfee und der Osterhase fielen in diese Kategorie. Erwachsene ermutigten Kinder, an sie zu glauben. Später, wenn die Kinder älter wurden, öffnete man ihnen brutal und plötzlich die Augen, amüsierte sich über den Witz und radierte damit jeglichen Glauben an Magie aus, den sich das Kind bewahrt hatte. Man tötete die Unschuld. Manchmal fragte sich Timmy, ob Gott womöglich auch bloß eine seichte Lüge darstellte. Immerhin behaupteten seine Eltern beharrlich, es gäbe ihn wirklich, was sie früher auch vom Weihnachtsmann behauptet hatten. Beide lebten über der Welt, behielten alle Menschen im Auge und beurteilten, ob sie brav oder ungehorsam gewesen waren. Einen Weihnachtsmann hatte Timmy nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen, im Einkaufszentrum Hanover Nord, und der Kerl war ein Schwindler gewesen. Der einzige Gott, den man ihm je präsentiert hatte, war derjenige, der vorne in der Kirche am Kreuz hing. Er hatte Gott also noch nie wahrhaftig gesehen, trotzdem erwartete man von ihm, dass er an ihn glaubte. Würde man ihm, wenn er älter war, offenbaren, dass auch Gott nicht wirklich existierte und es eigentlich keine Rolle spielte, wenn er während des Gottesdienstes Gruselgeschichten schrieb? Ein Teil von ihm rechnete beinahe damit. Natürlich sprach er es nie laut aus, nicht einmal vor Doug oder Barry, denn falls es Gott doch gab, wären solche Gedanken eine sichere Möglichkeit, ihn gegen sich aufzubringen. Timmy fürchtete sich vor Gott mehr als vor allem anderen in seinem Leben, ausgenommen vielleicht Schlangen und Catcher. Auf Schlangen, auf einen fiesen Hund und auf Rowdys aus der Nachbarschaft konnte man mit einem Luftgewehr schießen.
    Aber nicht auf Gott ...
    Und nun hatte er eine neue Abwegigkeit. »Es sieht so aus, als schläft Opa nur.« Die größte Widersinnigkeit von allen, denn Opa schlief nicht, er war tot. Er würde nie wieder aufwachen. Es würde keine Spaziergänge mehr geben, keine Spiele oder Zeichentrickserien an Samstagvormittagen, keine langen Gespräche mehr über Dinge, die für Timmy eine Rolle spielten und auch seinen Großvater zu interessieren schienen, weil sie für seinen Enkel wichtig waren. Sein Großvater war tot, warum also konnte seine Mutter es nicht einfach aussprechen? Wieso

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