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Leichenfresser - Thriller

Leichenfresser - Thriller

Titel: Leichenfresser - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Keene
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vermutlich in der Garage. Alle schienen zu Hause zu sein – die gesamte Familie.
    Familie.
    Doug wünschte so sehr, selbst eine zu haben. Einsame Momente verbrachte er mit Tagträumen über die Zeit, als sein Vater noch bei ihnen gewohnt hatte. Er wünschte sich oft, er hätte diese Zeiten mehr geschätzt, solange sie andauerten. Seine Eltern hatten damals glücklich gewirkt, zumindest auf ihn. Und auch über ihn schienen sie in jenen Tagen glücklich zu sein. Sein Dad hatte oft zu ihm gesagt: »Ich liebe dich.« Sie hatten gemeinsam viel unternommen. Über alles Mögliche geredet. Sein Vater hatte ihn nie Fettsack, Speckschwarte oder Schwuchtel genannt, wie es die Kinder in der Schule taten – oder Barrys Vater.
    Im letzten Monat, den er bei ihnen gewesen war, hatte sich einiges verändert. Unterschwellig. Damals war es Doug nicht aufgefallen, im Nachhinein erkannte er es jedoch klar und deutlich. Sein Vater hatte in sich gekehrt gewirkt. Unnahbar. Gereizt. Anfangs hatte Doug geglaubt, es habe etwas damit zu tun, dass seine Mutter ihren Job verloren hatte. Aber das uncharakteristische Verhalten hatte sich fortgesetzt. In jenen letzten Wochen aßen Doug und seine Mutter immer allein zu Abend. Sein Dad kam nach der Arbeit nicht nach Hause – manchmal die ganze Nacht nicht. Er hatte seine Eltern darüber streiten gehört, doch damals hatte er nicht verstanden, was vor sich ging, und sich davor gefürchtet, danach zu fragen. Er hatte gedacht, es läge womöglich an ihm.
    Und dann war sein Vater eines Nachts wieder nicht nach Hause gekommen und am Morgen des nächsten Tags danach immer noch nicht. Er war überhaupt nicht wiedergekommen. Hatte sich nie verabschiedet. Hatte es Doug nie erklärt, ihm nie mitgeteilt, wohin er wollte, ihm kein letztes Mal gesagt, dass er ihn liebte.
    Er war einfach ... verschwunden.
    Sein Vater hatte ihn für eine Kellnerin im Stich gelassen, die Doug nie kennengelernt hatte. Schlimmer noch, sein Vater hatte ihn mit seiner Mutter allein gelassen, obwohl er wusste, wozu sie fähig war.
    Seit damals fühlte sich Doug hohl und leer. Tot.
    Besinnungslose Leere wäre also vielleicht gar keine so üble Alternative, wenn er innerlich ohnehin schon tot war.
    Doug fühlte sich mit zwölf Jahren bereits wie 80.
    Er sprang vom Fahrrad und schob es die Einfahrt der Gracos hinauf, wobei er sich so gut wie möglich bemühte, leise zu sein. Die Kette ratterte, die Speichen klickten. Behutsam legte er das Fahrrad im Vorgarten auf den Boden und schlich zur Rückseite des Hauses. Das Gras strich über seine Schuhe, Tau durchnässte seine Socken. Kurzzeitig kam eine Brise auf und Mrs. Gracos Windglöckchen bimmelten in der Stille. Doug flehte sie in Gedanken an, zu verstummen, und der Wind legte sich wieder. Er steuerte auf Timmys Fenster zu, stolperte über einen Stock und erstarrte, wartete und lauschte, ob man ihn gehört hatte. Ihm fiel auf, dass hinter Timmys Zimmerfenster Dunkelheit herrschte, genau wie im Rest des Hauses, abgesehen vom Wohnzimmer, dessen sanfter gelblicher Schimmer zwischen den Lamellen der Jalousien hervorlugte.
    Doug hielt inne und überlegte, was er als Nächstes tun sollte. Irgendjemand war offensichtlich noch wach, aber anscheinend nicht Timmy. Selbst falls Timmy noch nicht schlief, wussten seine Eltern es nicht, denn in seinem Zimmer brannte kein Licht. Wenn er an Timmys Fenster klopfte, würde er riskieren, von seinen noch wachen Eltern gehört zu werden. Wenn Mr. oder Mrs. Graco ihn erwischten, würde das nicht nur Schwierigkeiten für Timmy bedeuten, sie würden auch darauf bestehen, entweder Dougs Mutter anzurufen oder ihn selbst nach Hause zu bringen. Und zurück nach Hause wollte er in dieser Nacht auf gar keinen Fall.
    Er schlich zurück zur Seite des Hauses und zum großen Panoramafenster des Wohnzimmers. Doug drückte die Nase gegen die Scheibe und spähte durch eine Lücke in den Jalousien. Timmys Vater saß auf der Couch. Auf dem Beistelltisch neben ihm stand eine halb leere Flasche Jack Daniel’s. Dougs Augen weiteten sich vor Überraschung. Mr. Graco trank selten und in der Woche so gut wie nie. Aber nicht der Alkohol bestürzte Doug am meisten, sondern der unsagbar gequälte Ausdruck in Randy Gracos Gesicht. Timmys Vater weinte – große, dicke Tränen, die seine Wangen nass glänzen ließen. Seine Augen waren gerötet, sein Körper erzitterte jedes Mal, wenn er schluchzte. Doug hatte noch nie gesehen, dass der Mann solche Emotionen zeigte – nicht einmal bei

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