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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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Wohlbefindens ablösten. Meist be sprachen wir die österreichische Politik, deren Vertreter er ohne Ausnahme des Schwachsinns bezichtigte. Er gab auch die eine oder andere aufregende Episode seiner Kriegserlebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg zum Besten, den er als Pilot von Aufklärungsflugzeugen zur Gänze mitgemacht und unbeschadet überstanden hat te. Manchmal erzählte er von seiner wilden Jugend im Wien der Dreißigerjahre, wo sich die paramilitärischen Verbände von »Heimwehr« und »Schutzbund« regelrechte Kämpfe lieferten und bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten. Am Schluss jeden Besuchs nahm ich die vom »Sir« in rapider Folge verschlungenen Bücher an mich, um sie bei Gelegenheit in der Nationalbibliothek gegen andere umzutauschen.
    Poldi stürzte sich nach dem – vehement geleugneten – Misserfolg seines Buches voll Leidenschaft auf die historische Landeskunde. Er beschäftigte sich mit der Identifizierung und Interpretation des niederen mittel alterlichen Adels anhand seiner Reihung in den Zeugenlisten von Besitzurkunden. Die daraus resultierenden Artikel veröffentlichte er – selbstverständlich ohne jegliches Honorar – in Fachzeitschriften. Veröf fentlichen war dabei eigentlich nicht das richtige Wort, denn soweit ich es beurteilen konnte, lasen seine langatmigen, schlecht geschriebenen, mit Hunderten von Fußnoten versehenen Ergüsse nur zwei Menschen: er selbst und der Lektor der staatlich gestützten Fachzeitschrift für Mediävistik, die sein Werk druckte. »Glaubst du wirklich, dass dein neuer Artikel ›Gewisse Aspekte zur Geschichte des niederen Adels im Bezirk Amstetten im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts‹ viele interessieren wird?«, meinte ich zweifelnd. Dies wischte meine Ehehälfte, mit der ich zu diesem Zeitpunkt nur noch recht und schlecht – mehr schlecht, wenn ich ehrlich war – verheiratet war, vom Tisch: »Na wirklich, Hermine, Hermiiinchen! Wie auch sonst, hast du auch davon keine Ahnung.«
    In dieser tristen Situation half es auch nicht viel, dass ich meinem faden Beruf etwas »Pep« verlieh. Im Besitz der Kontonummern meiner Kunden und gestützt auf das Insiderwissen, dass die Unterschriften bei Überweisungen niederer Beträge kaum jemals kontrolliert werden, ging ich häufig ans Werk. Listig überwies ich vom Konto der Frau Dr. Weis, einer Rechtsanwältin, die mit Vorliebe notorische Schwerverbrecher aller Art verteidigte, an Amnesty International. Der Autohändler Franz Huber wiederum, der sich auf den Vertrieb teurer Benzinfresser spezialisiert hatte, trug gegen sein Wissen – und sicher gegen seine Überzeugung – zur Verbesserung der Luftqualität bei; er zahlte an den World Wild Fund zur Nutzung alternativer Energiequellen regelmäßig kleine Geldbeträge, die zu hinterfragen ihm nie in den Sinn kam. Ein fashionabler Createur edler Pelzbekleidung wurde ebenfalls von mir zur Kasse gebeten; er unterstützte zu wiederholten Malen den Verein »Vier Pfoten« zur Rettung bedrohter Pelztiere.
    Kam ich abends nach Hause, hielt mir Poldi beim Essen einen seiner langatmigen Vorträge über die Krise der von den Naturwissenschaften in den Hintergrund gedrängten und bedrohten Geisteswissenschaften im Allgemeinen und der Misere des Historischen Instituts der Universität Wien im Besonderen: »Mathematiker, Biologen, Evolutionstheoretiker und Physiker sind in«, jammerte er. »Man überschüttet sie mit Geld, baut ihnen neue Institute, finanziert ihre Reisen in alle Welt. Vor allem die Mathematiker scheinen sich, unter den Fittichen eines krankhaft ehrgeizigen Dekans, geradezu wie die Kaninchen zu vermehren. Eine Stelle nach der anderen gewährt ihnen der verblendete und getäuschte Rektor unserer Universität. Was es bei denen noch zu erforschen gibt, verstehe ich überhaupt nicht. Evolutionstheorie, ein Humbug! Ach, wie ich darunter leide, dass man die Vergangenheit unseres Landes und die Pflege der lateinischen Sprache derart barbarisch missachtet. Wen interessiert noch das Mittelalter?«
    Eine Frage, auf die ich keine tröstende Antwort wusste. »Ja, ja, Poldi, plausch net«, dachte ich mir abfällig, während ich voll Schadenfreude vernahm, wie gemein man Leopolds Spezialgebiet, die österreichischen Ministerialien-Geschlechter des 13. Jahrhunderts, vollkommen ignorierte und schon gar nicht honorierte.
    Mich ärgerte auch, wie sich mein Mann von unseren Nachbarn behandeln ließ. Einmal, als ich nach Arbeitsschluss mit dem Volkswagen zügig

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