Leichenroulette - Roman
allergische Anfälle dürstete, die auf dem Glasregal über dem Waschbecken im Badezimmer standen.
Ich eilte natürlich sofort ins Bad, schnappte mir das Fläschchen, ließ es durch das winzige, auf groteske Art mit angegrauten Gardinen geschmückte Fenster ins Freie gleiten und kehrte nach kurzer Pause, Besorgnis und Atemlosigkeit heuchelnd, ins Wohnzimmer zurück. Eine, wie sich herausstellte, sinnlose Aktion, denn mein Bericht über die vergebliche Suche nach der rettenden Medizin ging im Chaos unter. Der Gastgeber wand sich bereits, nach Luft ringend und von Krämpfen geschüttelt, auf dem Boden, während mein – im praktischen Leben vollkommen hilfloser – Gatte das Telefonbuch mit zittrigen Händen lange vergeblich nach einer Telefonnummer des ärztlichen Notdienstes durchsuchte. Ich drängte mich nicht weiter auf, sondern beobachtete das geschäftige Treiben. Bedauerlicherweise war der honorige Doktor, dessen Hals beträchtlich anschwoll, beim Eintreffen der Ambulanz bereits ganz blau angelaufen. Im Spital konnte der im 51. Lebensjahr stehende Patient dann, wie wir später erfuhren, mittels antiallergischer Injektionen, Infusionen, Herzmassage und größtem ärztlichen Einsatz gerettet werden. Ein partielles Organversagen ließ ihn jedoch als bedauerlichen Pflegefall zurück. So wurde er tatsächlich zum Anwär ter auf die staatliche Frühpension, von der er stets geträumt hatte – allerdings unter anderen Voraus setzungen.
Nachdem wir noch einen Neffen von Dr. Wegner verständigt hatten, erreichten wir verstört und verwirrt – auch mich ließ das grauenhafte Unglück selbstverständlich nicht unberührt – unser Zuhause, wo uns Murli wie immer schon auf der Straße ungeduldig entgegeneilte, ungeachtet der großen Gefahr, der er sich damit aussetzte. Erstaunlich, dass das Tier die verschiedenen Autogeräusche unterscheiden konnte, aber so war es.
Während sich Leopold bald zur Ruhe begab, zog ich Murli vertrauensvoll ins Gespräch. »Fett, hat er dich geschimpft! Fett! Ich habe ihm eine saftige Lehre erteilt. Er wird sie nie vergessen!«, erklärte ich ihm flüsternd. Der Kater blickte mich klug, aufmerksam und, wie mir schien, sogar mit einer gewissen Zustimmung an. Ob er mich tatsächlich verstanden hatte? Mich jedenfalls durchströmte von Kopf bis Fuß ein ganz neuartiges prickelndes Glücksgefühl, ein wohliges, warmes Behagen, das ich seit den lange zurückliegenden Unglücksfällen von Hahn Peter und der alten Frau Zottl in dieser Form nicht mehr verspürt hatte und das ich sehr genoss.
Auch die nächsten Tage schwebte ich geradezu auf Wolken, kam mir allmächtig, gerecht und gescheit vor, beinahe wie ein weiblicher St. Franziskus, der Schutzherr aller Tiere. Auf Poldis Drängen hin besuchte ich Dr. Wegner im St.-Josefs-Spital, wo er aufgrund sei ner Privatversicherung, die er fürsorglich abgeschlossen hatte, den Luxus eines Einzelzimmers genoss. Vielleicht nicht richtig genoss, denn er lag, angeschlossen an die verschiedensten Infusionsschläuche, auf dem Rücken und starrte hilflos zur Decke. Das Sprechen fiel ihm schwer, und die Laute, die er mühsam von sich gab, waren unverständlich.
Ich entschloss mich, sein Sprachvermögen zu stimulieren, zog die mitgebrachten Erzählungen von Patricia Highsmith, in denen sich Tiere an Menschen rächen, hervor und begann vorzulesen. Die Lektüre beendete ich mit Sinnsprüchen berühmter historischer Persönlichkeiten. »Das kleinste Kätzchen ist ein Meisterwerk!«, meinte Leonardo da Vinci. »Was ist größer als die Liebe einer Katze?«, fragte Charles Dickens. Auch eine Warnung der Schriftstellerin Faith Resnick durfte nicht fehlen: »Leute, die Katzen hassen, werden im nächsten Leben als Mäuse geboren!«
Dr. Wegner wollte sich, wie ich merkte, zu diesem Ausblick auf seine Zukunft äußern, brachte jedoch nur etwas hervor, das wie »Gogo« klang, zu mehr war er nicht imstande. Ein freundliches Lächeln umspielte meine Lippen, als ich aufstand und mit dem Versprechen der baldigen Wiederkehr meinen – etwas einseitigen – Abschied nahm. Auf dem Gang stieß ich auf eine freundliche Krankenschwester, die mich vertraulich ansprach: »Sind Sie eine Verwandte? Ein wirklich tragischer Fall, der Dr. Wegner. Warum hat er nur seine Medizin nicht parat gehabt und sie rechtzeitig eingenommen? Die Ärzte haben leider nur wenig Hoffnung!« Ich nickte traurig und seufzte wehmütig.
Zu Hause berichtete ich Poldi über den schlechten Zustand des
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