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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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Patienten und seine unverständlichen Laute. Mein belesener und mit der wirren Geisteswelt des Dr. Wegner vertrauter Mann klärte mich auf: »›Gogol‹ hat er gesagt. Gogol. Und er wollte sicher auf eine Episode aus dem Leben des psychisch labilen russischen Schriftstellers Nikolai Gogol anspielen. Dieser hat im Alter von fünf Jahren seine Hauskatze mit einer Stange langsam in einem Teich ertränkt.« Nach dieser Mitteilung betrübte mich der Tod von Dr. Wegner, der drei Tage später eintrat, in keiner Weise. Die menschliche Natur ist wirklich von wunderbarer Widerstandsfähigkeit, dachte ich bei mir. Verschwindet ein Obstakel, egal welches – und sei es auch durch Tod –, schon schöpfen wir Hoffnung, und die Freude kehrt wieder.

Kapitel 7
    7
    Die Jahre zogen, wie man oft so treffend liest, ins Land. Ich wurde langsam älter, ein Ende meiner widerwärtigen Berufstätigkeit war nicht abzusehen. Ganz im Gegenteil! Die wachsende Lebenserwartung ließ das Pensionsalter immer weiter in die Höhe schnellen. Würde ich auch noch mit neunzig arbeiten, obwohl doch jede nur erdenkliche Vorsorge zur Erreichung eines hohen Alters getroffen worden war? Da klang mir der Titel eines Buches unangenehm in den Ohren, denn er schien die Gedanken der Pensionskassen auszudrücken: »Hunde, wollt ihr ewig leben?«
    An einem schönen, ja wirklich wunderschönen Oktobertag musste ich das Bett hüten. Die Bäume hatten sich bereits prächtig rot, gelb und golden verfärbt und die Luft hatte allmählich jene Kühle und Schärfe angenommen, die, trotz wehmütiger Gedanken an den verflossenen Sommer, belebte und Wohlbehagen schuf. Ge täuscht von den trügerischen Strahlen der mittäglichen Sonne, hatte ich mir infolge mangelhafter Kleidung eine Erkältung zugezogen. Demnach las ich zum x-ten Mal voll Bewunderung das Meisterwerk von Agatha Christie, »The Murder of Roger Ackroyd«, und ließ meine Gedanken müßig umherschweifen.
    Wie hoch mochte wohl die Dunkelziffer jener Mörder sein, die unter den Augen der Kriminalpolizei emsig und still ihrem bösen Handwerk nachgingen, ohne je verdächtigt, erwischt und zur Rechenschaft gezogen zu werden? Die Überlegung bereitete mir einen prickelnden Reiz. Ich spann sie weiter und kam zu dem unweigerlichen Schluss, dass es massenweise Fälle geben musste, bei denen jemand, aus welchen Gründen auch immer, unerkannt den Todesengel spielte. Hatte mir da nicht unlängst der »Sir« von besonders spektakulären Morden erzählt, die lange Zeit ungelöst blieben und nur durch Zufall aufgeklärt wurden? Ich selbst hatte ja stets die Meinung vertreten, dass viele der Opfer ihr Schicksal nicht nur herausforderten, sondern es auch mehr als verdienten.
    Die Stunden im Bett zogen sich, nur von Schlafen, Fiebermessen und Inhalieren unterbrochen, zäh und endlos dahin. Am Abend gesellte sich zu der fast uner träglichen Langeweile noch ein von der rechten Schläfe ausgehender bohrender Kopfschmerz hinzu. Voll übler Laune erwartete ich die Heimkehr meines lieben Ehemanns von seiner Dienststelle, dem Historischen Institut der Universität Wien.
    Gerade als ich die High-Society-Spalte einer Illustrierten mit vielen schönen, jungen und reichen, oft sogar adeligen Menschen mit klingenden Namen sowie zeit- und faltenlosen Gesichtern durchblätterte, eine Leidenschaft, der ich mit Begeisterung frönte, hörte ich, wie sich die Eingangstür öffnete. Mein Leopold, der »Poldi«, machte seinem Namen alle Ehre, indem er polternd eintrat und wie stets über den Teppich im Vorzimmer stolperte.
    Und dann war er auch schon bei mir. Er sah natürlich aus wie immer, mein Ritter von der traurigen Gestalt. Welch ein Gegensatz! Brutal der edlen Welt voll Glamour und Eleganz entrissen und in die Realität zurückgeworfen, hatte ich vor mir einen kleinen, dicken Mann von 52 Jahren mit sich lichtendem Haar, in zerbeulten, zu kurzen Hosen, einem über seinem rundlichen Bauch etwas auseinanderklaffenden zerknitterten Hemd samt Fettfleck, einem abgewetzten Sakko und »verhatschten« Schuhen. Obwohl ich die Bemü hungen zu seiner Verschönerung schon längst resigniert aufgegeben hatte und mich nicht mehr um Leopolds Kleidung kümmerte, ärgerte mich sein ungepflegter Anblick. Eine Rüstung sollte er tragen, schoss es mir durch den Kopf. Das würde ihm als Mittelalter-Historiker das richtige Flair verpassen und wäre überdies auch haltbar. Doch wie ich Poldi, den kuriosen Ritter, kannte, hätte er es schnell geschafft, selbst ein

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