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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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du mich zum Krüppel gemacht hast!« Mizzi, der ich mein Leid klagte und die alles sozusagen aus zweiter Hand miterlebte, hetzte mich auf: »Lass dir nicht alles gefallen! Je mehr du für ihn tust, desto mehr wird er dich sekkieren.«
    Drei Wochen, nachdem man Poldi in meine Obhut entlassen hatte, riss mir der Geduldsfaden – es war, wie ich mich erinnere, ein Sonntagnachmittag. Ich hatte Poldi gerade Kräutertee zubereitet und schickte mich an, ihm diesen im Wohnzimmer zu servieren, wo der Patient tagsüber auf dem von Zeitungen und Büchern überquellenden Sofa zu ruhen pflegte. »Mit wem redet er denn?«, wunderte ich mich, als ich leise näher kam. »Du Mistvieh«, hörte ich zu meiner Verwunderung. »Das wirst du büßen. Dich bring ich um. Und zwar auf die Art des Gogol!« Und zu wem sprach mein Gatte diese Worte? Derjenige, den der Widerling da mit dem Tod bedrohte, war Murli, der harm- und ahnungslos auf einem gepolsterten Sessel ruhte.
    Ich erstarrte vor Schreck. »Meinst du das im Ernst?«, brüllte ich außer mir vor Wut. Leopold verzog das Gesicht, sein unbeherrschter Ausbruch war ihm peinlich. »Es sind die Schmerzen! Du weißt doch, ich könnte unserem lieben kleinen Murli niemals ein Haar krümmen!«, log er voll Scheinheiligkeit und ohne Scham, wie sich später herausstellen sollte.
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis Leopold nach Ablauf der vorgesehenen Wartefrist zu einer dreiwöchigen Kur auf Kosten der Krankenkasse aufbrechen konnte. Die bekannte Heilstätte von Ober-Stinkenbrunn sollte ihn, wie es das ärztliche Begleitschreiben unverblümt ausdrückte, durch Physiotherapie und Unterwassergymnastik rasch für den Wiedereintritt in den Arbeits prozess mobilisieren. Endlich erschien doch ein kleiner Bus, aus dessen Fenstern ähnlich Unfallgeschädigte trau rig herausschauten, um den Patienten und seine drei mit vielen Büchern, aber wenig Kleidung vollgestopften Koffer abzuholen. Poldi verzögerte die Weiterfahrt des Sammeltransports, da er noch ein paar Mal hastig ins Haus zurückhumpelte, um weitere historische Zeitschriften an sich zu raffen. Doch auch dies ging vorüber. Ich murmelte noch ein paar aufmunternde Worte, winkte dem entschwindenden Gefährten kurz mit krampfhafter Fröhlichkeit nach.
    Dann wich die Hektik himmlischem Frieden. Ich konnte ausruhen, meine Nerven erholten sich, und meine Lebensgeister kehrten zurück. Bald dürstete mich nach Unterhaltung, und ich animierte einige meiner weiblichen Bekannten zu einem Casino-Besuch in der Wiener Innenstadt. Wir – Gitta, mollig, hübsch und lieb, immer zum Einsatz für ihre Freundinnen bereit, Mizzi, mein Lebensmensch, Heidi, eine dunkelhaarige Zynikerin, Elisabeth, extravagant, überlegen und humorvoll, und meine Wenigkeit – wählten einen Mittwoch, den sogenannten »Damentag«, an dem man uns in der schummrigen Spielhölle kostenlos Sekt kredenzte. Elegant in Schwarz gekleidet, prosteten wir einander fröhlich zu, bevor wir, jede mit Jetons im Wert von 300 Schilling bewaffnet, zu den um 18 Uhr bereits umlagerten Roulettetischen eilten. Es war kaum Platz. Ich drängte mich vor und platzierte unter den Augen der wie misstrauische Adler spähenden Croupiers meinen kleinen Einsatz. An meine Ohren schallte es unaufhörlich: »Bitte, auf 3, 7, 12! Auf das Karree mit 20 und Zero! Cheval 11 und 12!« Und schließlich eine strenge Stimme: »Keine Einsätze mehr. Bitte, keine Einsätze mehr! Rien ne va plus!« Trotzdem warfen einige besonders Nervöse ihre Jetons erst im letztmöglichen Moment auf den Tisch, lange nachdem sich die Scheibe des Roulettekessels in Bewegung gesetzt hatte. Sie suchten die magischen Momente des Bangens um ihr Geld möglichst zu verkürzen.
    Das im Casino versammelte spielwütige Publikum erstaunte mich sehr. Niemand hatte auch nur die geringste Ähnlichkeit mit jenen eleganten Gestalten, wie ich sie aus James-Bond-Filmen kannte, die meisten sahen nach kleinen Gewerbetreibenden und Pensionisten aus. Viele der krampfhaft ihre Münzen umklammernden Glücksritter waren, wie ich erstaunt sah, ältere Damen, einige sogar mit Gehstock, den sie neben sich an den Tisch lehnten. Fiel die Kugel nicht auf die erhoffte Zahl und fegte der Croupier mit entspannter Miene und einem kleinen Rechen unerbittlich das mit grünem Tuch bespannte Spielfeld leer, verhärteten sich ihre Züge. Die Enttäuschung währte jedoch nur kurz, dann öffneten sie flink ihre Handtaschen. Mit verwelkten, brillantengeschmückten Händen förderten

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