Leichenroulette - Roman
Trauerspezialist belebte sich, flugs schlug er seine Mappen mit Fotos vieler Särge auf, die sinnigerweise alle die Namen schöner Städte wie Salzburg oder Florenz trugen. Behutsam erklärte er mir die Vor- und Nachteile jedes einzelnen, diskret flüsterte er mir die – exorbitanten – Preise zu. »Alle unsere Produkte sind garantiert aus einheimischem Holz. Die Innenausstattung aus Damast wird per Hand genäht. In Graz.«
Als musikalische Begleitung wählte ich Partien aus Gustav Mahlers fünfter Symphonie, grandiose weich-sentimentale Klänge, die mich meist, wie in dem Film »Tod in Venedig«, zum Weinen brachten. Außerdem bestand ich, einen Wunsch des teuren Verstorbenen vortäuschend – tatsächlich wollte ich natürlich auf Nummer sicher gehen –, auf Feuerbestattung im Wiener Krematorium. Blieb nur noch die Parte. »Bevorzugen Sie ein bestimmtes Zitat aus den Evangelien? Bitte schicken Sie mir den gewünschten Text«, erklärte der Repräsentant von »Charon« dramatisch lächelnd, wobei er mir eine Mustersammlung frommer Sprüche samt Formular in die Hand drückte.
»Es hat sich ausgeschnarcht!«, schrieb ich scherzhaft an den rechten oberen Rand der Traueranzeige, bevor ich mich an die Gestaltung des Textes machte. »Plötzlich und unerwartet … mein innig geliebter Mann …« Bla, bla, bla – das Übliche halt. Dabei summte ich vergnügt das berühmte rabenschwarze Hofer-Lied von Wolfgang Ambros vor mich hin: »Schau des is makaber, da liegt ja a Kadaver! Schau, da liegt a Leich im Rinnsal, s’Bluat rinnt in Kanal!«
Zwei Tage später erreichte mich ein Anruf von »Charon« mit der elegisch vorgetragenen Bitte um Erklärung. »Wir verstehen das nicht. Soll tatsächlich ›Es hat sich ausgeschnarcht‹ am rechten oberen Rand der Parte neben dem Kreuz stehen? Dieses biblische Zitat ist uns leider unbekannt!« – »Natürlich nicht! Ein Irrtum!«, rückte ich alles im letzten Augenblick ins rechte Lot. »Ein Fehler des Computers!«
Die Nachricht vom Tod meines Mannes verbreitete sich wie ein Lauffeuer in unserer Siedlung und rührte die goldenen Wiener Herzen. In tiefem Schwarz – ich hatte Trauerkleidung angelegt, denn ich schätze Tradition – nahm ich schmerzgebeugt, aber gefasst die Kondolenzbesuche der »Bierhäusler« entgegen. Einige Frauen brachten Essen, um mich bei Kräften zu halten, andere boten sich an, bei mir zu übernachten, damit ich nachts nicht allein mit meinen traurigen Erinnerungen an dem, wie sie sagten, Ort des Schreckens zerbrechen würde.
Der hagere, durch ein nervöses Zucken seines rechten Augenlids auffallende Vorstand des Historischen Instituts erschien, drückte mir pathetisch sein Beileid aus, würdigte in unglaubwürdigem Ton die wissenschaftlichen Verdienste des allzu früh Dahingeschiedenen, der eine durch niemanden zu füllende Lücke hinterlasse, und erklärte mir dann nüchtern die Wege zur Erlangung einer Witwenpension.
Nur Mizzi, mein liebster Lebensmensch, auf die ich eigentlich gezählt hatte, ließ sich gar nicht mehr bei mir blicken. Ich empfand diese offensichtliche Herzlosigkeit als höchst merkwürdig, insbesondere da sie nach Poldis Unfall sofort zur Stelle gewesen war. Immer wenn ich bei ihr anrief – und ich tat dies natürlich oft –, gab sie vor, schwer beschäftigt zu sein, wies alle meine Vorschläge zu Ausflügen, Essengehen oder auch nur Plaudern zurück und entschuldigte sich mit Zeitmangel. Diese Zurückweisung durch meine beste Freundin kränkte und beunruhigte mich sehr. War mir ein Fehler unterlaufen? Welcher und wann? Ahnte sie etwas? Im Geist ging ich meine Gespräche, die ich mit ihr, soweit ich mich erinnern konnte, in der letzten Zeit geführt hatte, genau durch. Mir fiel kein Lapsus auf.
Das Begräbnis, beziehungsweise die Feuerbestattung, fand im Krematorium der Stadt Wien im 11. Bezirk nahe dem Zentralfriedhof statt. Der turm- und zin nenbewehrte Bau des berühmten Architekten Clemens Holzmeister aus dem Jahr 1922 sollte an das ehemalige Lustschloss »Neugebäude« Kaiser Maximilians II . erinnern, in dessen Park man die Feuerhalle und den Urnenhain errichtet hatte. Der erbitterte Streit, den die Errichtung des Krematoriums durch die sozialdemokratische Gemeindeverwaltung hervorrief, ist heute nur noch schwer nachzuvollziehen.
Die Befürworter stammten aus »roten«, antiklerikalen Kreisen, die römisch-katholische Kirche lehnte sich gegen die »Gotteslästerung« auf. Sie drohte mit der Verweigerung
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