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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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soll ich jetzt tun? Man raubt mir meine Heimat!« Eine allgemeine Verbrüderung fand statt. Eine Dame, die meinte, eine Konditorei wäre auch nichts Schlechtes, wurde mit Zischlauten zum Schweigen gebracht, stand unter Protest auf und ging.
    Die Aufregung legte sich auch in der nächsten Zeit nicht – ich konnte dies gut beobachten, denn ich war täglich dort. Immer weitere Kreise erfuhren die Neuigkeit und reagierten mit gebührendem Entsetzen. Frauen, die ihre pensionierten Ehemänner bislang gut im Dommayer aufgehoben wussten, erzählten einander im Vertrauen, dass sie zwar, wie gelobt, gern Freud und Leid mit ihrem Partner teilten, ihn aber nicht den ganzen Tag zu Hause ertragen könnten – ein Problem, das sich bei mir auf erfreuliche Weise gelöst hatte! Ein schadenfroher Mensch aus dem vornehmen, aber kaffeehauslosen Wiener Bezirk Pötzleinsdorf verbarg seine Häme nicht: »Nun sind wir gleich!« Und ein in der Blüte seiner Jahre stehender Journalist, der sich in der Hektik seines schweren Alltags damit tröstete, einst ruhigere Tage im engeren Dommayer-Kreis zu verbringen, sah seine Zukunftshoffnungen schwinden.
    »Man kann sich auf nichts mehr verlassen«, lautete der allgemeine Tenor. »Ist das Kaffeehaussterben noch nicht zu Ende?« Die Besitzerin eines Stands für edles Obst am Naschmarkt fasste mit unangenehm schnarrender Stimme die Überlegungen ihrer Mitgäste zusammen: »Wo soll ma nur hingehn? Vielleicht durthin, wo immer der Dichterling g’sessn is?« In ihrer respektlosen Art meinte sie Thomas Bernhard im Café Bräunerhof.
    Wenige Wochen später stand die Schließung des Paradieses zwecks Neugestaltung unmittelbar bevor. Berührende Szenen spielten sich ab. Einige nostalgische Gäste wollten die Sitzgelegenheiten, auf denen sie jahrelang viel Zeit zugebracht hatten, gern erwerben. Als ein Schild beim Eingang verkündete: »Heute ab 18 Uhr geschlossen!«, wusste man Bescheid. Normalerweise war bis 24 Uhr geöffnet und dies, mit Ausnahme des 24. Dezember, täglich. Im gedrängt vollen Lokal schlürfte auch ich bis zum letzten Augenblick Dommayer-Kaffee. Um 18 Uhr wurden wir alle ver trieben!
    Drei Wochen nach dem Begräbnis fand ich die Zeit reif für den nächsten Schritt in ein neues und schöneres Leben. Ich entnahm Leopolds Schreibtisch die kostbare, mich begünstigende Lebensversicherungspolice, machte eine Kopie – Originale dieser Art gibt man nicht aus der Hand – und reichte sie bei der »Städtischen Versicherung« ein. Mein kindlich-naiv gehaltenes Begleitschreiben lautete:
    Nach dem Tod meines innig geliebten Gatten fand ich beiliegendes Dokument unter seinen persönlichen Sachen. Mit der Bitte um Aufklärung, bzw. Anweisung für weiteres Vorgehen zeichne ich
    Ihre Hermine E.
    Die Versicherung hetzte sich nicht mit einer Antwort, und ich drängte sie auch nicht, sondern übte mich in weiser Geduld. Zu gut erinnerte ich mich an die Causa des Udo Proksch. Der in Wien Unvergessene, ein trotz kleiner, korpulenter Statur, hässlichem Äußeren und schütteren fetten Haaren erklärter Liebling der Damenwelt, brillierte als Initiator des »Vereins der Senkrechtbegrabenen« zur Schaffung von mehr Platz auf den Friedhöfen, aber auch als Gründer des elitären »Club 45«, dem viele Politiker mit großem Vergnügen angehörten. Darüber hinaus hatte er, gänzlich ohne Barmittel, auf mysteriöse Weise die einstige k. u. k. Hofzuckerbäckerei Demel erworben. Dort ging es sehr vornehm zu. Das Personal sprach die Gäste nur in der dritten Person an: »Haben der Herr schon gewählt? Wünschen die Dame …?« Den ersten Stock des Etablissements für feinste Wiener Backwaren reservierte Proksch für die manchmal ebenfalls feinen, aber auch die weniger feinen, jedoch stets unterhaltsamen Events des »Club 45«.
    Nicht ausgelastet durch seine regen skurrilen ge sellschaftlichen Aktivitäten, mit denen er zahlreiche Mit glieder der österreichischen Regierung amüsierte und unterhielt, plante der rastlose, originelle und kriminelle Society-Liebling einen klassischen Versicherungsbetrug größten Ausmaßes samt Mord. Im Vertrauen auf seine Beziehungen zu den höchsten politischen Kreisen charterte der Fantasievolle mit morbidem Humor die »Lucona«, ein hochseetaugliches Schiff, ließ sie mit wertlosem Schrott beladen, den er als eine wertvolle Uranerzmühle deklarierte, und schloss auf die »kostbare« Ladung eine hohe Versicherung ab. Ein kleiner, aber nicht unbedeutender Teil der Fracht

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