Leichenroulette - Roman
eines christlichen Begräbnisses. Eine schwere Waffe, denn ohne einen Pfarrer begraben zu werden war damals für viele Gläubige eine schreck liche Vorstellung! Priester horchten Sterbende auf dem Todesbett aus. Sprachen sie sich mit letzter Kraft für eine Einäscherung aus, wurden ihnen die Sterbesakramente vorenthalten. Man erklärte sie quasi zu Ketzern. Jahrzehnte vergingen, bis das Heilige Offizium den gläubigen Katholiken die Wahl ihrer Bestattung freistellte.
Das Begräbnis von Dr. Leopold E. ging an einem klir rend kalten Dezembertag mit leichtem Schneefall würdevoll vonstatten. Eine Menge teurer Kränze bedeckten den schlichten Sarg. Poldis Verwandte aus dem Weinviertel nahmen an der schönen Zeremonie teil, meine Eltern aus dem Waldviertel, viele vom »Bierhäuslberg« und auch Vertreter seines Universitätsinstituts, die an ihrem verstorbenen Kollegen zu Lebzeiten kein gutes Haar gelassen hatten. Letztere trugen heuchlerische Trauer zur Schau, während sie, wie ich wusste, bereits emsig um die Neubesetzung seines Postens rangen und ihre Favoriten in Stellung brachten.
»Sir«, dem ich die Einzelheiten vom Tod seines Groß neffen rücksichtsvoll vorenthalten und nur von »Herzversagen« erzählt hatte, saß aufgrund seiner Gehbehinderung in einem Rollstuhl. Seine Schwerhörigkeit beruhigte mich, denn der katholische Pfarrer fand nicht nur würdigende Worte, sondern hob auch die tragischen Umstände des Todes hervor. Zur Sicherheit hatte ich allerdings aus dem Hörgerät des alten Herrn die Batterien entfernt. Ich hörte ihn murmeln: »Zu blöd, ausgerechnet jetzt funktioniert es nicht!« Bei den tief berührenden Klängen von Mahlers Fünfter Symphonie heulte ich wie ein Schlosshund. Aus den Augenwinkeln sah ich Mizzis forschenden Blick.
Der von mir bestellte Leichenschmaus fand in einem benachbarten rustikalen, auf Leichenfeiern spezialisierten Gasthaus statt. Der Schweinsbraten mit Waldviertler Knödeln mundete den lustig plaudernden Gästen hervorragend, lag mir aber noch tagelang wie ein Stein im Magen.
Kapitel 12
12
Danach kehrte für mich und Murli, der sichtlich unter dem Alkoholentzug litt und mir oft bittere, vorwurfsvolle Blicke zuwarf, ein sehr geruhsamer – für den Kater asketischer – Alltag ein. In meiner Bank hatte ich einen vorgezogenen vierwöchigen Jahresurlaub beantragt, der mir, im Hinblick auf die Umstände und die Jahreszeit – alle anderen gingen im Sommer in die Ferien – auch anstandslos gewährt wurde.
Ich genoss die freie Zeit und die mustergültige, durch nichts und niemanden gestörte Ordnung in meinem Heim, aus dem ich zuallererst den persönlichen Kram Poldis, darunter Stapel von Wissenschaftsblättern und verstaubte Geschichtsbücher, entfernte.
Danach hielt ich nach verborgenen Sparbüchern und Goldmünzen Ausschau. Ich wusste, dass man che Leute ihre eiserne Reserve geschickt verstecken: in Polsterüberzügen, hinter Schränken, zwischen Büchern. In einem konkreten Fall hatte jemand, wie ich in der Zeitung las, sogar die Furniere seiner antiken Möbel gelockert und seine Ersparnisse dazwischengeklemmt. Unter den gekränkten Augen des Katers warf ich auch die vielen leeren Wein- und Schnapsflaschen weg. Die Klamotten des Verstorbenen trug ich zur Sammelstelle von »Humana«. Bald blitzte das Häuschen vor Sauberkeit.
Als ich mir einmal zum Verschnaufen eine kleine Pause im Café Dommayer gönnte, nahm ich dort eine eigenartig kühle, geradezu unheilschwangere Stimmung wahr. Lustlos drehten die Kellner ihre Runden. Kein huldvolles Lächeln, kein verständnisvoller Blick, kein jovialer Scherz. Endlich fragte jemand Herrn Walter, der, finster vor sich hin brütend, kleine Kärtchen mit der unheilvollen Botschaft des Lokal-Besitzers auf den Tischen verteilte: »… trete ich meinen wohlverdienten Ruhestand an und übergebe nach 43 Jahren an die privat geführte Konditorei …« Herr Walter erklärte, dass »unser« Dommayer bereits in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verkauft worden sei.
Der Schock saß tief. Vom Sehen jahrelang bekannte, jedoch unzugängliche Gäste, die sonst mit niemanden ein Wort wechselten und, schweigsam über ihre Zeitungen gebeugt, Plaudernden oder gar Telefonieren den giftig-strafende Blicke zuwarfen, wurden lebhaft, stellten sich vor und sprachen hektisch. Ein besonders Hochmütiger, der stets alle Avancen zum Smalltalk eisig zurückgewiesen hatte, gab sich als renommierter Hausverwalter zu erkennen und rief pathetisch aus: »Was
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