Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Leichenschrei

Titel: Leichenschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicki Stiefel
Vom Netzwerk:
neben ihn. Seine Augen waren geschlossen, seine Nasenflügel gebläht. Sein Gesicht und sein Hemd waren blutverschmiert. Seine blutige Hand hatte eine unnatürliche Neigung.
    Ich berührte seine Wange. »Alles in Ordnung, Hank? Hank? «
    Mit zusammengebissenen Zähnen sagte er: »Moment noch.«
    Ich klappte mein Handy auf, um Hilfe zu rufen.
    »Nicht«, knurrte er. »Helfen Sie mir hoch.«
    »Keine gute Idee.«
    Doch es gelang mir, ihn auf die Füße zu stellen. Er schwankte und wurde bleich.
    »Wagen Sie es nicht, wieder umzukippen«, sagte ich.
    Er gluckste rau. »Wie charmant. Kommen Sie, machen wir, dass wir hier wegkommen.«
    Irgendwie schafften wir es den Hang hinauf und zum Wagen. Bis ich Penny verstaut hatte und mich auf den Fahrersitz hievte, war er ohnmächtig geworden.
    Ich ließ den Motor an, drehte die Klimaanlage auf und griff dann nach dem Funkgerät.
    Seine gesunde Hand schoss vor und hielt mich zurück.
    »Kein Anruf. Bringen Sie mich einfach nach Winsworth zurück.«
    »Aber …«
    »Fahren Sie.«
    Der kleine Henry Cunningham war noch nie ein guter Zuhörer gewesen.
    »Ich dachte, Sie wären außer Gefecht«, sagte ich.
    »Bin ich auch«, erwiderte er. »Dank dieses Hurensohns, der den Fels angestoßen hat.«
    »Wollen Sie damit sagen, da oben war jemand?«
    »Ja. Nein. Ach verdammt, ich weiß auch nicht.« Er hielt die blutige Hand hoch. »Aber ich muss auf jemanden sauer sein, weil ich das Ganze höchstwahrscheinlich selbst ausgelöst habe.«
    Hank saß auf einem Bett in der Notaufnahme im Krankenhaus, während wir auf einen Arzt warteten. Er weigerte sich, sich hinzulegen. Ich ging seinen Sturz wieder und wieder durch. Ich versuchte, mir klar zu werden, ob da oben noch jemand am Abhang gestanden hatte. Aber kein Bild wollte sich einstellen. Ich machte mir Sorgen. Er sah schrecklich aus, bleich, blutüberströmt und gebrochen.
    »Ich nehme Sie morgen noch mal zu den Beals mit«, sagte er.
    »Ja, okay.«
    Er legte die Stirn in Falten. »Sie werden den Beals doch beistehen?«
    Ich sollte mich da nicht weiter hineinziehen lassen, aber … Ich atmete heftig aus. »Das sagte ich doch schon. Ja.«
    »Hab auch keine Minute daran gezweifelt.«
    Wie er das sagte … Ich drehte mich um. Er hatte einen eigenartigen Gesichtsausdruck aufgesetzt, der mich irgendwie an seinen Kuss als Froschprinz in der Schulaufführung in der vierten Klasse erinnerte. Vielleicht war es aber auch der Schmerz, der seinen Ausdruck sanft werden ließ.
    Eine Ärztin steckte den Kopf herein. »Bin gleich bei dir, Hank. Alles klar so weit?«
    »Alles bestens, Lexie«, sagte er und grinste.
    »Wie bei deinen Kumpels aus NYPD Blue, hm?« Der Vorhang schloss sich wieder.
    »Was sollte das denn heißen?«, fragte ich.
    »Das war ’n ganz schlechter Scherz.«
    Als wir zum Cottage zurückkamen, drehte Penny unten am Strand eine Runde, während ich den Anrufbeantworter abhörte.
    Debbie Tomes, eine Freundin vom Philadelphia GAP, dem Vorbild unseres MGAP, hatte wegen eines von mir an sie überwiesenen Klienten angerufen. Ich rief sie zurück, und wir setzten für zwei Stunden später eine Telefonkonferenz mit dem Klienten an. Veda hatte ebenfalls angerufen. Nach dieser Quasselrunde konnte ich endlich durchatmen und meine Gedanken und Gefühle zu dem Mord an Laura Beal sortieren.
    Ich legte im Computer eine Akte zu Laura an und gab einige Notizen zu den Ereignissen des heutigen Tages ein – Noahs Reaktion auf mein Beratungsangebot, Lauras Leiche, der Tatort, die Zigaretten, Hanks Unfall. Ich schrieb mir auf, was ich gefühlt hatte, als ich Laura sah. Das dauerte. Dann fügte ich Noah, den Ort ihres Todes und Chip Vandermere hinzu – genau so ging ich auch beim MGAP immer vor. Die Routine fühlte sich gut und vertraut an.
    Ein Serientäter? Rache? Eifersucht? Was hatte den Mörder veranlasst, wiederholt ein Messer in Laura Beals Körper zu stoßen? Warum hatte er zugesehen und geraucht, während sie langsam starb?
    Ich machte eine Pause und rief im Krankenhaus an. Hank war nicht stationär aufgenommen worden. Ich hatte seine Privatnummer nicht, aber ich ging davon aus, dass alles in Ordnung war, sonst hätten sie ihn wohl dabehalten.
    Ich zündete drei Kerzen an und dimmte das Licht. Mir blieb noch eine Stunde bis zu der Konferenzschaltung.
    Ich nahm meinen »Mutmach«-Stein in die Hand, den mein Dad geschnitzt hatte. Ich brauchte die Weisheit des Steins.
    Ich kann nicht behaupten, dass sich welche einstellte, nur das dringende Verlangen,

Weitere Kostenlose Bücher