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Leichenschrei

Titel: Leichenschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicki Stiefel
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verstorbene Schwester hinausgingen. Sie war nur noch ein vager Abklatsch der Freundin, die schlechte Witze erfunden, Stäbe als Majorette in die Luft gewirbelt und in unserer kurzlebigen Rockband gesungen hatte.
    Ich sehnte mich nach ihr.
    Annie schien mich überhaupt nicht wiederzuerkennen, obwohl ich das insgeheim gehofft hatte. Fast hätte ich ihr gesagt, wer ich war. Aber bei Mrs Lakeland hatte die Zurückweisung nicht halb so sehr geschmerzt, wie sie es bei Annie tun würde.
    »Bitte setzen Sie sich doch.« Annie führte mich in die Nische mit den Captain’s Chairs. Sie runzelte die Stirn. »Sie weinen ja.«
    »Das ist diese verfluchte Allergie.« Ich kicherte und wühlte in meiner Handtasche nach einer Packung Taschentücher.
    »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich bin eine Freundin von Hank Cunningham. Tally Whyte.«
    »Oh! Dann sind Sie die Frau, die das alte Cottage der Bradys gemietet hat.«
    Ach, diese Winsworther Buschtrommeln – effektiv wie eh und je. »Stimmt.«
    »Daddy sagte, Sie seien aus Boston.«
    »Das bin ich.«
    Ein Lächeln. Ein kleines, doch es erfüllte ihre Augen mit Wärme. »Und, wie gefällt es Ihnen hier bei uns?«
    »Sehr gut. Eine wunderschöne Gegend.«
    »Wollen Sie vielleicht hierherziehen? Ein Haus am Wasser kaufen? Oder in der Stadt?«
    »Nicht ganz. Es war Hanks Vorschlag, mich mit Ihnen zu treffen. Ich, ähm, bin Psychologin … und ich betreue die Familien von Mordopfern.«
    »Wirklich? Wie interessant. Von so etwas habe ich noch nie gehört.«
    »Wie die meisten Menschen. Deshalb bin ich auch hier. Sheriff Cunningham dachte, ich könnte vielleicht helfen.«
    Sie runzelte die Stirn. »Hier in Winsworth, meinen Sie?«
    Mein Herz krampfte sich zusammen. Annie verdrängte das Geschehene. Das war nicht unüblich, machte es aber furchtbar schwierig.
    »Möchten Sie mit mir über irgendetwas reden?«, fragte ich.
    Sie zog ein Taschentuch aus der Tasche und fing an, es zusammenzulegen. »Nicht, dass ich wüsste, es sei denn, um Sie besser mit Winsworth vertraut zu machen, falls Sie doch darüber nachdenken hierherzuziehen.«
    Ich legte meine kräftige Hand auf ihre zarte. »Ich weiß, wie schwer das für Sie ist, und dass es Sie sehr schmerzt, aber …«
    »Mir geht es gut.« Sie sah mich an, als wäre mir ein zweiter Kopf gewachsen.
    Die Verdrängung einfach zu ignorieren war eine Möglichkeit, aber keine gute. Obwohl es natürlich noch schlimmer wäre, wenn jemand anriefe, um sein Beileid auszusprechen, ohne dass sie darauf vorbereitet war. »Wie wäre es, wenn wir uns über Ihre Schwester unterhalten, Miss Beal?«
    Annie riss die Augen auf, dann platzte sie lachend heraus. »Entschuldigen Sie. Leute von auswärts haben manchmal schon einen eigenartigen Sinn für Humor. Und nennen Sie mich doch Annie.«
    »Warum sollte ich einen Scherz über Laura machen, Annie?«
    »Weil alle in der Stadt anfangen, sich ihre losen Mäuler über sie zu zerreißen, sobald sie mal wieder einen ihrer verrückten Streiche unternimmt.«
    »Das hier ist aber keiner von Lauras verrückten Streichen, Annie.«
    »Natürlich ist es das. Daddy ist stinksauer deswegen.«
    »Also hat ihr Vater gesagt, Laura sei weggefahren.«
    »Nicht ganz.« Sie setzte sich auf. »Das geht Sie aber eigentlich nichts an, Miss Whyte.«
    Na toll.
    Die Tür flog auf, und herein kam eine grobknochige Frau mit knallroten Haaren, in Overall und alten Birkenstock-Latschen. Himmel, das musste Carmen sein, meine beste Freundin aus Kindertagen, der inzwischen das Restaurant Town Farm gehörte. Sie beachtete mich gar nicht, sondern eilte zu Annie und drückte sie an sich.
    »Es tut mir ja so leid, Sweetie«, sagte Carm. »Dieser Dickkopf Noah wollte mich gestern nicht zu dir lassen.«
    Annie schob sie weg. »Wovon redest du, Carm? Wovon reden denn alle hier?«
    Die Tür knallte gegen die Wand. »Was geht denn hier vor sich!«, rief Noah. Die Folge war ein einziges Chaos: Noah brüllte Carmen und mich an zu verschwinden, Carm beschimpfte ihn auf Spanisch, Annie machte große Augen, und irgendein Handy klingelte.
    Ich wollte Annie in eine ruhige Ecke manövrieren.
    Völlig außer sich langte Noah nach ihrem Arm. »Bleib bloß weg von dieser Frau, Annie.«
    Verwirrung machte sich auf Annies Gesicht breit. »Was ist denn los, Daddy?«
    »Nichts. Alles.« Noah fuhr sich mit zitternden Händen über die Haare. Er starrte stur geradeaus. »Deine Schwester Laura ist ermordet worden.«
    Endloses Schweigen. Alle Blicke waren auf Annie

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