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Leichenschrei

Titel: Leichenschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicki Stiefel
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ist als er. Gary war mit Will Saccos Tochter Tish verheiratet, bis sie vor, hm, circa drei, vier Jahren gestorben ist. Will ist Joys Mann.«
    Allmählich wurde es kompliziert. »Und woran ist Tish gestorben?«
    »An Aids.«
    »Schlimm«, sagte ich. »Sie sagten erstens. Gibt es auch ein zweitens?«
    »Joy und Laura Beal standen sich so nahe wie Schwestern.«
    Als ich mich nach Laura Beals Tod mit Joy Sacco unterhalten hatte, hatte sie diese enge Freundschaft nicht erwähnt. Mich interessierte, warum nicht. Auf meinem Weg zur Post machte ich einen Umweg durch eine Seitenstraße. Aus dem Telefonbuch wusste ich, dass der Haushaltswarenladen von Carmens Mutter nicht mehr existierte, aber ich hatte noch nicht mit eigenen Augen vorbeigeschaut. In dem Gebäude, in dem Mrs Cavasos’ Laden früher untergebracht war, befanden sich nun ein Geschäft für Modeschmuck und ein Florist. Eine schreckliche Traurigkeit breitete sich in mir aus. Am liebsten hätte ich die Zeit zurückgedreht und alles wieder zurechtgerückt.
    Ich hatte Mrs Lakeland geschrieben und sie auf die Quelle ihres Ärgers angesprochen, aber noch keine Antwort erhalten. Sie war vielleicht noch in England. Ich sollte einfach etwas zu Carmen sagen. Aber was ich bei Mrs Lakeland ertragen konnte, hätte ich von Carmens Seite nicht hinnehmen können. Bei der Vorstellung, solchen Abscheu auf Carmens Gesicht zu sehen, wurde mir ganz übel.
    Genug.
    Ich fuhr zurück zur Main Street, zur neuen Post und zu Joy Sacco.
    Joy stand hinter dem Schalter und plauderte mit einem Kunden. Ich stellte mich an.
    Postangestellte kennen oft alles und jeden, besonders in Kleinstädten. Bei meiner Freundin Pat, einer Postmeisterin, ist das zumindest so.
    Als ich vor etwas mehr als einer Woche zum ersten Mal die Post von Winsworth betreten hatte, um meine weitergeleiteten Briefe abzuholen, hatte ich mir überlegt, dass die kleine Brünette vielleicht etwas über meinen Dad wissen könnte. Doch obwohl Joy nie von John Blake gehört hatte, scherzte sie gleich über unser beider Medusa-Haar.
    Heute hatte Joy ihre wilde Mähne mit einem Haargummi gebändigt; ihre Uniform war ein bisschen zerknautscht. Ihr sonst so fröhliches Gesicht hatte einen ernsten Ausdruck. Statt mir zuzulächeln, winkte sie mir nur mit einem Finger.
    Da sie Ende zwanzig war, musste Joy im gleichen Schuljahrgang wie Laura gewesen sein. Sie waren wahrscheinlich zusammen aufgewachsen. Genau wie die Familie litten auch enge Freunde sehr, wenn ein geliebter Mensch ermordet wurde. Viel zu oft ging die Trauerbetreuung aber an ihnen vorbei.
    Der Jugendliche vor mir, der mit einem Stapel Päckchen gekommen war, war fertig. Also trat ich an den Schalter.
    »Ich hätte gern einen Bogen von den Wohlfahrtsmarken gegen Brustkrebs, Joy.«
    »Gern, Tally. Und wie geht’s so?«
    »Bestens. Und selbst?«
    »Super.« Sie zwinkerte mir grinsend zu. Sie rieb mit einem Finger über die Blumen auf ihrer silbernen Gürtelschnalle. »Gefällt sie Ihnen?«
    »Ja.«
    Sie nickte. »Art nouveau. Hier sind Ihre Marken.«
    Hinter mir stand niemand an. »Haben Sie kurz Zeit, um mit mir zu reden?«
    »Zeit …« Sie seufzte. »Die zerrinnt uns zwischen den Fingern.«
    »Stimmt. Ihnen geht’s schlecht, nicht wahr.«
    Joys Mundwinkel zuckten. »Oh. Ähm, Sie wissen Bescheid, hm?«
    »Über Sie und Laura? Ja. Und es tut mir sehr leid.«
    »Mir auch.«
    »Ich habe, glaube ich, bereits erwähnt, dass es mein Beruf ist, Menschen in Trauerfällen zu beraten. Wenn ich Ihnen helfen …«
    »Danke, aber es käme mir komisch vor, mit Ihnen darüber zu reden. Sie kannten Laura ja nicht einmal.«
    »Das stimmt. Aber unterhalten könnten wir uns trotzdem.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Mit mir ist alles in Ordnung. Wissen Sie, Sie sind die Erste, die mich nach Laura fragt. Alle wussten, wie nahe wir uns standen, aber keiner hat auch nur einen Ton gesagt.«
    »Und Gary? Er ist Ihr Schwiegersohn, nicht wahr? Ich habe gehört, dass er mit ihr liiert war. Er muss doch furchtbar aufgewühlt sein.«
    Sie zuckte die Achseln. »Ja, vermutlich. Ich habe ihn nicht gesehen. Aber Sie wissen ja, was alle sagen, oder? Dass er sie umgebracht hat.«
    »War er dazu fähig, was meinen Sie?«
    Sie schlug die Augen nieder. »Ich will dazu nichts sagen. Auf eine Art war es nämlich meine Schuld.«
    Ein Lied, das ich immer mal wieder von Trauernden zu hören bekam. »Wie das?«
    »Na ja, Will und ich hätten uns eigentlich mit Gary und Laura treffen sollen.« Sie seufzte.

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