Leichenschrei
umwerfenden Szenen aus Der Herr der Ringe ausgemalt. Sie zeigten Lothlorien, das goldene Königreich, und waren viel impressionistischer als die Darstellungen unten.
Frodos Gesicht spiegelte sich in Galadriels Spiegel, und Sam erklomm die Treppe an einem der riesigen Mallornbäume. Aragorn sprach mit Celeborn und in einem anderen Bild mit seiner großen Liebe, Arwen. Genau gegenüber von Lauras Schreibtisch legte die dunkelhaarige Arwen sich inmitten der verlassenen Riesenbäume zur letzten Ruhe. Auch ich hatte mich schon lange vor der Verfilmung für Der Herr der Ringe begeistert, und ich konnte mich noch an Arwens Tod im Anhang der Romane erinnern. Ich machte von allen Bildern Fotos.
»Darf ich, Foster?«, fragte ich und deutete auf die Darstellung von Arwens Tod.
Er seufzte. »Aber sicher doch. Sie sind so ergreifend schön.«
Ich trat näher heran. Das Wandgemälde war ausdrucksstark und zeitlos, genau wie die Szene, in der Arwen sich dem Tod hingibt, umgeben von vertrockneten Blättern, die Juwelen gleich zu Boden fallen. Tränen schossen mir in die Augen. Wie seltsam von Laura, ausgerechnet diese Szene zu malen, und dann auch noch an eine Stelle, die sie jeden Tag ansehen musste. Eine Woge der Trauer erfasste mich.
Wie traurig, dass ihr Tod in solch scharfem Gegensatz zu dem von Arwen gestanden hatte.
»Die Polizei hat hier alles durchwühlt«, sagte Foster. »Ich musste ihr Zutritt gewähren, aber ich bin nicht mehr hier gewesen, seit sie … Sie wissen schon.«
»Sie war ganz schön romantisch.«
»Oh ja.«
Ich fuhr mit den Fingern über Arwens Gesicht. Genau genommen hätte ich Lauras Gesicht sagen müssen, denn sie hatte Arwen ihre eigenen Züge verliehen. Und vielleicht noch mehr. Ich drehte die Schreibtischlampe zu der Malerei. Verborgen zwischen den Falten und dem Muster des rotgoldenen Kleides lag ein Baby in Arwens Bauch. Das Kind in Embryohaltung saugte am Daumen. Jeder konnte es sehen, der direkt davorstand. Doch wenn man nicht aus dem richtigen Winkel und von Nahem hinschaute, war das Kind unsichtbar. Ich kehrte zum Schreibtisch zurück, schloss die Augen und schlug sie wieder auf.
Das Kind war verschwunden.
Arwen war zum Zeitpunkt ihres Todes nicht schwanger gewesen. Aber ich vermutete, Laura schon.
Falls sich noch mehr von Lauras Geheimnissen in ihrem Büro verbargen, würden sie warten müssen. Foster umschwirrte mich wie eine Biene auf der Suche nach Nektar. Minuten später brachte er mich zum Treppenabsatz, wo wir uns verabschiedeten, und ich machte mich wieder auf die Suche nach Ethel. Sie war nicht an ihrem Platz. Ich sah mir die Malereien aus Der kleine Hobbit noch einmal an, konnte aber nichts Verstecktes darin erkennen.
Das Telefon klingelte. »Mist!« Ethel flog herbei und griff danach. »WWTH.«
Ich wartete, bis sie den Anrufer durchgestellt hatte. »Was ist Ihrer Meinung nach mit Laura passiert, Ethel?«
Sie warf ihre Zöpfe nach hinten. »Einer von diesen Spinnern hat sie erwischt.«
»Spinner?«
»Genau. Ich würde sie ihnen ja zeigen, aber ich hab sie schon alle den Cops gegeben. Die Drohbriefe, meine ich. Die Leute haben ständig Briefe geschrieben. Wegen der Musik. Wegen der Sache mit Howard Stern. Oder weil Laura die Finger von Jones lassen sollte, dem Kongressabgeordneten. Sogar solcher Mist wie die Werbespots, die wir gesendet haben, hat sie gestört. Sie hat sogar Todesdrohungen bekommen, wussten Sie das?«
»Nein.«
»Keine große Sache, ihrer Meinung nach. Wichser und Penner hat sie die immer genannt.« Ethel grinste. »Manche hatten echt einen Knall. Einmal haben wir uns abends bei ihr zu Hause richtig volllaufen lassen. Da haben wir sie dann alle gelesen.«
»Sie waren befreundet.«
Das breite Grinsen erlosch. »Ja. Und ich vermisse sie.«
»Könnte es sein, dass sie schwanger war, Ethel?«
»Möglich. Möglicherweise wollte sie es aber auch nur sein.« Sie zuckte die Achseln. »Manchmal war es schwer, Laura zu verstehen. Ist ja jetzt auch egal.«
Ich verabschiedete mich, als das Telefon erneut klingelte.
Vom Handy aus rief ich im Büro des Sheriffs an, in der Hoffnung, Hank hätte die Ergebnisse von Lauras Autopsie. Doch Hank war wieder unterwegs. Ich hinterließ die Nachricht, er möge mich bitte zurückrufen, und begab mich dann zu Moody’s Market in der Grand Street.
Dieser Markt, früher ein kleiner Tante-Emma-Laden, hatte sich inzwischen zu einem Delikatessenimperium gemausert. Er war unverschämt teuer und hatte verlockend appetitliches
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