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Leichenschrei

Titel: Leichenschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicki Stiefel
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Hund.«
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich.
    Er starrte mich aus tief liegenden Augen an. Wartenden Augen. Augen, aus denen eine mögliche Geisteserkrankung der einen oder anderen Art sprach.
    »Ich habe Sie gefragt, ob ich Ihnen helfen kann, Sir.«
    Er runzelte die Stirn und schwieg. Dann: »Du erinnerst dich nicht an mich.«
    »Ich habe Sie schon mal gesehen. Auf dem Friedhof, neben Moody’s Market.« Und vielleicht gestern Nacht, als er mir folgte.
    »Nicht da«, sagte er mit dunkler, aufgewühlter Stimme.
    Er stemmte die Hände in die Hüften, drückte die Brust raus und beugte sich vor. Der Geruch nach Motoröl und Fisch streifte meine Nase. »Ich rede von früher.«
    »Früher.« Penny stand knurrend vor mir, mit angespannten Muskeln, bereit zum Sprung. »Ich würde übrigens nicht näher kommen.«
    »Bist du blöd oder was, Emma? Ich bin Lewis. Lewis R. Draper.«
    Lewis Draper? Ich tauchte ab in die Vergangenheit. »Sie waren einer von Dads Freunden. Ein Banker. Ja, jetzt erinnere ich mich. Sie trugen immer einen Nadelstreifenanzug, Budapester und ein schneeweißes Hemd.« Schon damals verursachte er mir eine Gänsehaut, besonders, wenn er mich begrüßte, indem er mich in die Wange kniff. Ich hatte nur selten mit dem Mann gesprochen. »Das ist lange her, Mr Draper.«
    »Nenn mich Onkel Lewis, wie früher.«
    So hatte ich ihn nie genannt. »Schön, Sie zu sehen. Was kann ich für Sie tun?«
    Er schob die Unterlippe vor. »Hast du einen Kaffee?«
    »Ja, sicher doch. Warum setzen Sie sich nicht auf die Veranda, und ich hole uns welchen?«
    Schwer zu sagen, ob er grinste oder eine Grimasse schnitt, auf jeden Fall entblößte er einen fehlenden Schneidezahn.
    Ich brachte Draper einen Teller mit Cookies hinaus, während der Kaffee durchlief. Ich hätte am liebsten Hank angerufen, als ich drinnen war, hatte mich aber beherrscht.
    Draper konnte eine dissoziale Persönlichkeitsstörung haben oder bipolar sein. Seine Aufmachung konnte auch Ausdruck eines halben Dutzends anderer Krankheiten sein.
    Sein Benehmen könnte auch durch Drogen ausgelöst oder verstärkt worden sein. Oder er machte mir einfach etwas vor. Was auch immer dahintersteckte, ich sollte sehr vorsichtig mit diesem Mann sein.
    Er hatte konkrete Pläne, und ich musste herausfinden, welche.
    Penny hing wie eine Klette an meinem Bein.
    »Hier.« Ich stellte das Tablett auf den Verandatisch. In meinem Gedächtnis hatte es »klick« gemacht, und ich war jetzt ziemlich sicher, dass Draper der Mann war, der mich wegen meines Dads in Boston angerufen hatte. Vergleichbare Sprachmelodie, gleicher Tonfall. Und dass er eine gewisse Dramatik schätzte, war unübersehbar. Aber warum holte er mich hierher und wartete dann bis jetzt, bevor er mich kontaktierte?
    Draper nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette, an deren Ende die Asche zentimeterlang war. Er wackelte mit dem Fuß, und sein Bein wippte auf und ab.
    »Ich hole Ihnen einen Aschenbecher.«
    »Brauch ich nicht.« Er schnippte die Asche übers Geländer.
    Am Tatort hatte Lauras Mörder geraucht, während er ihr beim Sterben zugesehen hatte.
    »Wie ist dein Vater gestorben?«, fragte Draper.
    Ich saß ihm gegenüber, die stets wachsame Penny zu Füßen. In knappen Sätzen schilderte ich ihm Dads Tod. Es wurde nie einfacher.
    Draper löschte die Zigarette mit seinen schwieligen Fingern und steckte die Kippe dann in die Tasche. »Tut mir leid. John war ein besserer Mann als die meisten anderen.«
    »Das war er«, sagte ich.
    Er legte seine Füße, die in schwarzen Chucks steckten, auf das Geländer. »Ich hatte gehofft, du erinnerst dich an mich.«
    »Tut mir leid. Aber das ist alles lange her.«
    Er zog die Augen zu Schlitzen zusammen. »Du erinnerst dich doch noch an Annie Beal, oder? Und an Noah und diese Carmen? Und wie ich sehe, machst du auch mit dem kleinen Henry Cunningham rum.«
    Wie oft hatte Draper mir nachspioniert? Ich bekämpfte den Drang, mir mit den Händen die Arme zu reiben. »Ich muss mir einen Pulli holen. Und der Kaffee dürfte auch fertig sein.«
    Er nickte und beugte sich vor, um eine neue Zigarette anzuzünden.
    War er, was aus meinem Vater geworden wäre, wenn er noch gelebt hätte?
    Zeit, Hank anzurufen. Ich hob den Hörer ab.
    »Lass das«, sagte Draper. Er lehnte im Türrahmen, und die Zigarette hing zwischen seinen Lippen.
    »Ich muss jemanden anrufen. Haben Sie ein Problem damit?«
    Er schnaubte nur. »Leg einfach wieder auf.«
    Ich tat es. Er sah zu, wie ich den Pullover vom

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