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Leichenschrei

Titel: Leichenschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicki Stiefel
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gebe nach«, rief er über das Rauschen des Regens hinweg. »Sie können mit mir zu den Saccos kommen. Erzählen Sie Ihnen ruhig, dass ihr Gary sich gerade um die Ecke gebracht hat.«
    »Wie nett, Hank«, brüllte ich. »Eine nette Art, die Sache darzustellen. Außerdem hat er sich nicht ›um die Ecke gebracht‹. Er wurde ermordet.«
    »Schwachsinn. Warum waren Sie noch gleich so sicher, dass es kein Selbstmord ist?«
    »Vielleicht bin ich skeptisch, weil ich mehr Facetten der menschlichen Natur gesehen habe als Sie, der Sie hier oben leben. Das haben Sie selbst gesagt.«
    »So, habe ich das?« Hank begann zu lachen, doch durch den Regenschleier sah ich, dass sein Gesicht schnell wieder ernst wurde. »Sie sind also noch nicht drauf gekommen. Das überrascht mich, bei einer so cleveren Frau wie Ihnen. Ich hab zehn verdammte Jahre lang in New York City als Cop in Mordfällen ermittelt, also hören Sie auf mit dem Scheiß, was Sie alles gesehen haben wollen, klar? Wir treffen uns bei Noah. Joy und Will sind bestimmt noch dort.«
    Seine Reifen quietschten, als er abfuhr.

20
Der Friedhofsmann
    Ich saß in meinem Truck an der Straßenkreuzung und hämmerte auf mein Lenkrad ein. Dieser Mistkerl. Hank Cunningham hatte mich für dumm verkauft. Aber vielleicht war ich das auch. Sicher war jedenfalls, dass ich ihm nicht gesagt hatte, dass ich Emma Blake war.
    Scheiß drauf. Ich kam mir wie ein Idiot vor. Der hatte vielleicht Nerven, mir nicht zu erzählen, dass er beim NYPD gewesen war. Grrr. Würde ich noch rauchen, hätte ich mir jetzt eine angesteckt. Oh ja, ihm gefiel das Spiel, das er da mit mir spielte. Sehr sogar.
    Zur Hölle mit Hank Cunningham.
    Den ganzen Weg zurück in die Stadt suchte ich nach etwas halbwegs Anständigem im Radio. Meinen Sie, ich hätte etwas gefunden? Nein! Als ich bei Noah ankam, schälte ich mich aus meinem triefnassen Kleid und den zerrissenen Strümpfen und schlüpfte stattdessen in die Jeans, das Hemd und die Sneakers, die ich immer im Wagen hatte. Ich band mein Haar noch einmal zusammen, aber da stand ich auf verlorenem Posten.
    Hank hatte seine schlammige Hose ausgetauscht. Trotzdem folgten uns Blicke, als wir Noahs Haus betraten und Joy und Will in eines der leeren Schlafzimmer führten.
    Als wir ihnen von Garys Tod erzählten, schluchzte Joy, und die Tränen strömten ihr unkontrolliert über die Wangen. Will Saccos Gesicht verzog sich, und er gab leise, erstickte Laute von sich. Doch er war einer von den Männern, die den Tränen nie freien Lauf lassen würden. Stattdessen schob er sich einen Juicy Fruit von Wrigley’s in den Mund und fing an, wild zu kauen. Will bestand auch darauf, selbst mit Joy hinüberzufahren und seinen Schwiegersohn zu sehen. Also fuhren wir hintereinander her zu Vandermeres Bestattungsunternehmen. Als wir da waren, kamen mehr erstickte Laute von Will, und er kaute schneller.
    Als wir im Wartezimmer für die Trauergäste saßen, erzählte Will mit einer Stimme von seiner Tochter Tish, der Sehnsucht nicht fremd war.
    »Sie war wie ein Engel für mich, wissen Sie. Ein Engel. Drei Jahre ist sie nun schon tot, und ich vermisse sie. Wirklich.«
    »Ja«, sagte ich. »Die Trauer wird dumpfer, hört aber nie auf. Mein Vater wurde Opfer eines Mordes. Ich verstehe Sie. Der Verlust Ihrer Tochter tut mir so leid, und jetzt auch noch Gary.«
    Ihre Köpfe nickten so automatisch wie bei zwei Puppen. »Dann wissen Sie ja, wie sich das anfühlt«, meinte Will.
    »Das tue ich, und ich bedaure wirklich, dass Sie beide das Gleiche durchmachen müssen.« Ja, jetzt gehörten auch sie zu diesem exklusiven Klub.
    »Ich wünschte, Tish und Gary hätten Kinder gehabt«, sagte Will. »Wirklich.«
    »Ich verstehe Sie«, meinte ich. »Ein Teil von ihnen wäre dann noch da. Aber Sie sind hier, und Sie erinnern sich.«
    »Und Scooter«, sagte Joy. »Auch er ist ein Teil von Tish.«
    »Das Erinnern tut gut«, sagte Will. »Manchmal. Armer Gary. Er war wie ein Sohn für mich. Wie ein Sohn.«
    Joy umarmte ihren Mann. »Wir haben ihn beide geliebt, obwohl er sehr wahrscheinlich den Mord an … Sie wissen schon. Wie ist er gestorben?«
    Ich sah erst Joy und dann Will an. »Das ist noch nicht klar.«
    »Die Todesursache ist im Moment noch nicht geklärt«, sagte Hank. »Wir sagen euch mehr, sobald wir etwas wissen.«
    Ihre Gesichter verzogen sich, und weitere Tränen flossen. Ich machte mir um beide Sorgen, besonders aber um Joy. Sie hatte einen doppelten Schlag erlitten, erst Laura, dann Gary.

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