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Leichensee

Leichensee

Titel: Leichensee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mennigen
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eine Stunde lang bemühte Cotton sich vergeblich, wieder Empfang zu bekommen, dann gab er es auf.

10
    Die Dunkelheit senkte sich an diesem Nachmittag früh über Chappaquiddick. Decker stand mit einer Tasse Kaffee an einem der Wohnzimmerfenster. In Gedanken versunken verfolgte sie, wie das Zwielicht der Finsternis wich. Seitdem es zu schneien aufgehört hatte, war die Sicht auf das Meer ungetrübt. Unermüdlich rollten gischtende Wellen auf dem verschneiten Strand aus. Die Agentin nahm einen Schluck und versuchte vergeblich ein unbestimmtes Vorgefühl von drohendem Unheil abzuschütteln.
    Carnahan trat neben sie. »Kommen Sie heute Abend mit in die Stadt zur Versammlung?«
    Decker öffnete gerade den Mund zu einer Antwort, da kam Cotton ihr zuvor.
    »Ja, wir sollten hin.« Cotton ließ sich auf das Sofa vor dem Kamin sinken. »Vielleicht erfahren wir dort, wann die Brücke nach Martha’s Vineyard wieder passierbar sein wird und die Fähren ihren Betrieb aufnehmen werden. Außerdem würde mich interessieren, ob der Sheriff inzwischen Neuigkeiten für uns hat.«
    Dass es sich bei diesen Neuigkeiten um Terry Dodsons Festnahme handeln sollte, ließ er unausgesprochen. Stattdessen warf er Decker einen vielsagenden Blick zu.
    »Ja«, seufzte sie wenig begeistert. »Das wird bestimmt ein zauberhafter Abend. Wir werden uns prächtig amüsieren.«
*
    Gegen achtzehn Uhr begann es wieder zu schneien. Allerdings nicht so stark, dass es die geplante Fahrt gefährdet hätte. Kurz vor neunzehn Uhr verschwand Carnahan nach oben in sein Schlafzimmer und zog sich um. Als er herunterkam, trug er einen hellgrauen Anzug, dessen Schnitt schon länger aus der Mode war. Er nahm einen Trenchcoat von der Garderobe und zog ihn über. Cotton schlüpfte in seine Jacke, Decker in ihren gefütterten Mantel.
    Carnahan schloss die Haustür auf und sagte: »Gehen Sie schon mal vor, und warten Sie bei der Garage auf mich. Ich muss innen über die Kellertreppe runter. Das Schloss am Garagentor ist defekt und lässt sich nicht mehr von außen öffnen.«
    Die beiden Agents verließen das Haus und stiegen die verschneite Außentreppe hinunter. Hinter ihnen verschwand Carnahan im Haus.
    Es dauerte ein paar Minuten, ehe das Garagentor aufschwang. Dahinter stand ein betagter Chevrolet Impala aus den späten Neunzigern. Carnahan klemmte sich hinter das Steuer und schaltete den Motor und die Scheinwerfer an. Im Schritttempo setzte er den Wagen rückwärts und ließ ihn draußen mit laufendem Motor stehen. Er stieg aus, verschwand in der Garage und schloss das Tor von innen zu.
    Decker setzte sich auf die Rückbank, Cotton auf den Beifahrersitz. Carnahan erschien vor der Haustür. Er schloss sie ab und vergewisserte sich durch Rütteln an der Klinke, dass sie wirklich zu war. Wohlweislich hatte er eine Taschenlampe mitgenommen, deren Licht ihm auf dem Weg die schneebeladenen Stufen der Außentreppe hinunter gute Dienste erwies.
    Bei seinem Auto angelangt, setzte er sich hinters Steuer, verstaute die Stablampe im Handschuhfach und fuhr los. Obwohl der Impala asthmatisch knatterte und die Karosserie an allen Ecken und Enden klapperte, bahnte er sich tapfer seinen Weg durch den Schnee. Die quietschenden Wischerblätter sorgten dafür, dass die sanft rieselnden Flocken nicht lange auf der Windschutzscheibe liegen blieben.
    Nach etwa einer halben Stunde Fahrt erreichten sie die Ortsmitte von Chappaquiddick mit der Kirche, die komplett aus Holz erbaut war. Davor herrschte hektische Aktivität. Zahlreiche Lichtpunkte von Taschenlampen durchbrachen die Dunkelheit, denn von allen Seiten strömten die Einwohner ins Gotteshaus.
    Auf der Straße und dem der Kirche vorgelagerten Platz war bereits alles zugeparkt, und immer noch kamen Autos an.
    Carnahan fand eine Lücke und mischte sich mit Cotton und Decker unter das Volk, das durchs Hauptportal in das Gotteshaus drängte. Aus dem Innenraum sickerte goldfarbenes Licht. Es stammte von Dutzenden Kerzen, die am Altar und in den Seitenschiffen brannten.
    In der Kirche hatte sich eine bunt zusammengewürfelte Menschenmenge eingefunden. Trotz der vielen Besucher herrschte fast völlige Stille. Die Agents hielten sich bewusst im Hintergrund. Cotton beobachtete interessiert die Leute. Nahe dem Altar entdeckte er Amy in der Menge. Als hätte sie seinen Blick im Nacken gespürt, drehte sie ihm den Kopf zu und lächelte ihn an.
    Nicht weit von ihr stand Terry Dodson inmitten einer Gruppe junger Männer. Er starrte Amy unverhohlen

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