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Leichensee

Leichensee

Titel: Leichensee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mennigen
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mitgebracht.« Er zog den Reißverschluss seiner Jacke herunter und holte ein kleines Transistorradio aus der Innentasche. »Das Ding hat zwar keinen Hi-Fi-Klang, funktioniert dafür aber mit Batterien. So bekommst du hier draußen wenigstens ein bisschen davon mit, was in der Welt passiert.«
    »Danke, Bob, das ist wirklich sehr aufmerksam von dir.« Carnahan nahm das Radio und stellte es auf den Tisch. »Setz dich, ich mache dir schnell deinen wohlverdienten Kaffee.«
    »Ach, weißt du, ich glaub, ich verzieh mich doch lieber.« Er zog den Reißverschluss wieder bis zum Hals hoch. »Hab noch eine Menge von der weißen Pampe da draußen wegzuräumen. Außerdem fühle ich mich ein wenig unwohl zusammen mit dem FBI unter einem Dach.«
    Carnahan begleitete ihn bis zur Haustür. Auf der Schwelle drehte Bob sich noch einmal um und trichterte ihm ein: »Und vergiss nicht das Treffen heute Abend. Wir sehen uns.«
    Als Cotton die Treppe herunterkam, fuhr draußen gerade der Schneepflug den Weg zurück, den er gekommen war.
    »Guten Morgen, Spencer«, grüßte Cotton. »War das gerade ein Freund von Ihnen?«
    »Ja, der einzige, den ich hier auf der Insel habe«, erwiderte er und grinste. »Und das vermutlich auch nur, weil ich ihm jedes Jahr die Steuererklärung ausfülle.«
    »Wobei ich für seine moralische Integrität keinen Finger ins Feuer legen würde.« Decker marschierte Richtung Küche. »Hat jemand Lust auf Eier mit Speck zum Frühstück?«
    »Äh … Ich glaube, ich mache mir heute lieber ein Sandwich«, rief Cotton ihr hinterher.
    Während sie frühstückten, schaltete Carnahan das Transistorradio ein und suchte einen Nachrichtensender. Der Empfang war erbärmlich, doch immer noch besser als nichts. In den News war die Rede von einem der verheerendsten Blizzards, der Neuengland in den vergangenen Jahrzehnten heimgesucht hatte. In Boston und anderen Großstädten war es zu Stromausfällen und dem Erliegen des Verkehrs gekommen. Obwohl es inzwischen nicht mehr schneite, machten gewaltige Schneemassen die Interstates immer noch unpassierbar. Etliche Ortschaften waren von der Außenwelt abgeschnitten. In Massachusetts war der Notstand ausgerufen worden.
    Dass die Inseln Martha’s Vineyard und Chappaquiddick vollkommen vom Festland abgeschnitten waren, war gerade mal eine Fußnote wert.
    Wie am Vortag verbrachten die Agents die meiste Zeit mit ihrem Gastgeber vor dem Kaminfeuer. Decker und Carnahan vertrieben sich die Langeweile mit einem Brettspiel. Cotton versuchte ebenso beharrlich wie frustriert eine Netzverbindung für sein Smartphone zu bekommen.
    Nachdem er nirgendwo im Erdgeschoss Empfang hatte, probierte er es im oberen Stockwerk. In Deckers Gästezimmer wurde seine Geduld belohnt. Plötzlich flackerte ein Balken auf dem Display auf. Die Verbindung war zwar extrem schwach, aber zumindest gab es eine.
    Kurz darauf klingelte das Telefon in der New Yorker Praxis von Les Bedell. Die Sekretärin des ehemaligen FBI-Psychologen hatte sich heute krankgemeldet. Was bedeutete, dass Bedell an diesem Vormittag schon das achte Mal eine Sitzung mit einem Patienten unterbrechen musste, um im Vorzimmer ans Telefon zu gehen.
    Seufzend nahm er den Hörer ab. »Ja?«
    »Bedell? Ich bin’s, Cotton.«
    Bedell kniff die Augen zusammen und legte die Stirn in Falten, als könne er so die Stimme des G-Mans besser verstehen. Sie wurde von derart starkem Rauschen und Tonaussetzern begleitet, dass sich der Psychiater fragte, von welchem Planeten der Special Agent anrief.
    »Hallo, Cotton. Was verschafft mir das Vergnügen?«
    Der Gefragte wusste nicht, wie lange die Leitung halten würde. Deshalb setzte er den Psychologen kurz und knapp über die jüngsten Ereignisse auf Chappaquiddick ins Bild. Dabei betonte er auch die Einschätzungen von Carnahan.
    Er beendete seinen Bericht mit der Frage: »Können Sie mir etwas über das Profil dieses verrückten Täters sagen, der seine Opfer auf einer Insel am Strand vergraben hat?«
    »Nun ja, zunächst mal glaube ich nicht, dass er verrückt ist«, ließ sich Bedell zu einer ersten Einschätzung hinreißen.
    »Jemand tötet wahllos Frauen auf bestialische Weise, und Sie halten dieses Monstrum nicht für verrückt?«
    »Sie haben gerade die Antwort auf Ihre Frage selbst gegeben, Cotton. Der Mann mordet wahllos . Er ist also nicht von einem bestimmten Zwang besessen. Deshalb haben wir es mit keinem Irren zu tun, sondern mit einem Individuum, das genau weiß, was es tut. Seine Taten sind

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