Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
das Sterben.
Er hatte immer geglaubt, für die richtige Seite zu kämpfen, aber das änderte nichts an den Träumen. In seinen Träumen sah er immer wieder die Gesichter der Menschen, die er getötet hatte … Der Spanier schenkte sich ein Glas von dem Brandy ein und trank es in einem Zug leer. Morgen würde er nicht selbst töten. Morgen würde er töten lassen. Seine Männer würden auf seinen Befehl hin morden. Aber war es Mord? Wenn das stimmte, was man sich erzählte, was man ihm berichtete, dann war Draculea schuldig, wie noch keiner schuldig gewesen war, seit Judas Christus verriet. War das dann Mord? War es nicht nur ein gerechtes Urteil, das er, Valejo Carreloio, nur vollstreckte? Aber auch der Vollstrecker tötete … wo also lag der Unterschied? Sein Beichtvater hatte ihm weismachen wollen, dass es ein Unterschied war, einfach nur zu töten oder das im Namen der Kirche zu tun. Aber er wusste, dass das eine Lüge war. Es stand ganz klar in der Bibel. Du sollst nicht töten.
Carreloio trank ein zweites Glas. Langsam machte sich die Wirkung des Alkohols bemerkbar. Es ging auf zehn Uhr abends zu. Noch ein weiteres Glas und er würde sich zu Bett legen. Der Spanier rief seine Ordonnanz. Der Mann half ihm aus der Uniform und kümmerte sich um seine Kleider. Draußen machte sich Unruhe breit. Männer riefen durcheinander und Carreloio hörte Schreie und Rufe. „Was ist da los?“, fluchte er. „Paolo, sieh nach, was da vor sich geht. Ich will zu Bett. Sorge für Ruhe!“ Der Mann salutierte kurz und ging vor das Zelt. Carreloio setzte sich auf den Rand seiner Pritsche und griff nach dem dritten Glas Branntwein, aber er kam nicht einmal dazu, es an die Lippen zu führen.
Ein halb erstickter Schrei, dann flog der Körper des Ordonnanzoffiziers in das Zelt des Spaniers und riss ihn zu Boden. Mit schreckgeweiteten Augen starrte der Spanier auf den Toten, der halb über ihm lag. Dem Mann war der Kopf halb abgerissen worden und Valejo starrte in die aufgerissenen Augen des Toten. Draußen wurde der Lärm lauter. Immer lauter wurden die Schreie. Dann wurde die Zeltplane beiseitegerissen. Der Spanier griff nach seinem Schwert, aber der Tote, der auf ihm lag, behinderte ihn und der Mann, der in sein Zelt eingedrungen war, bewegte sich mit atemberaubender Geschwindigkeit. Ehe Valejo die Finger um den Griff seiner Waffe schließen konnte, war der Eindringling bei ihm und packte sein Handgelenk. Mit spielerischer Leichtigkeit drehte der Angreifer die Hand des Spaniers und brach ihm den Arm. Der Knochen knackte und Carreloio schrie vor Schmerzen laut auf. Der Eindringling lachte trocken. „Guten Abend, mein Herr.“, sagte er mit tiefer Stimme. „Entschuldigt bitte, dass ich Eurem kleinen Plan zuvorgekommen bin. Oh, und vielen Dank, dass Ihr so nett wart, mir Eure Männer zur Verfügung zu stellen!“
„Ich … habe …? Wie meint Ihr das?“ Der Spanier umklammerte seinen gebrochenen Arm. Der Eindringling hob den Toten von ihm herunter und das tat er mit einer Leichtigkeit, als wöge dieser nur ein paar Pfund. Carreloio konnte nun seinen Oberkörper aufrichten und den Eindringling ansehen. Er kannte das Gesicht von den Abbildungen, die man ihm gezeigt hatte, bevor man ihn losgeschickt hatte. Vor ihm stand der Mann, den er hatte ausschalten sollen, Vlad der Dritte, Draculea, Herr der Walachei. Unter seinem breiten Schnauzbart grinste der Woiwode breit und entblößte seine langen Eckzähne. „Ich meine es so, wie ich es gesagt habe. Eure Männer sind jetzt die meinen! Nun, wenigstens die meisten. Ich konnte meinen Männern nicht verbieten, sich an dem einen oder anderen gütlich zu tun. Sie brauchen das Blut, brauchen ihre Kraft!“
„Dann ist es also wahr!“, stöhnte der Spanier mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Ihr seid zur Bestie geworden!“ „Kommt mir nicht mit dergleichen!“, schnauzte Draculea zurück. „Ihr seid keinen Deut besser als ich! Im Gegenteil! Ich stehe zu dem, was ich bin und was ich tue! Was ist mit Euch? Aber diese Frage ist müßig! Denn in wenigen Augenblicken werdet ihr das genauso sehen wie ich, glaubt mir!“ „Niemals!“, rief Carreloio. „Ich werde niemals Euren Weg einschlagen, so wahr mir Gott helfe!“ „Gott?“, fragte Draculea, „Ich fürchte, der hat heute etwas anderes zu tun als Euch zu helfen!“ Er trat nahe an den Spanier heran und griff den Mann bei seinem Hemd. Mit Leichtigkeit hob er ihn vom Boden hoch und starrte ihm in die Augen. „Aber bevor ich Euch zu
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