Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
eines und setzte sich mit dem anderen in den Sessel.
„Es schien mir weniger Aufmerksamkeit zu erregen“, antwortete sie. „Es gäbe sicher einige Aufregung, wenn ich in dem Aufzug durch die Gänge von Poenari wandern würde. Zumal das, was ich zu tun hatte, keine Aufmerksamkeit brauchen konnte.“ „Darf ich fragen, was Ihr in finsterster Nacht im Wald zu tun hattet? Eulen jagen?“ Ich erhob mich und setzte mich auf den freien Stuhl neben ihr, was meinem Rücken auch viel zuträglicher war als das verdrehte Sitzen auf dem weichen Bett. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit in meinem Glas entpuppte sich als alter französischer Branntwein. „Ich war schon einmal hier ...“ Rebekka brach ab.
Sie blickte mir in die Augen und für einen kurzen Moment sah ich das Alter von Sankt Georg hinter ihren Pupillen durchschimmern. „Nun, Ihr wisst, dass nicht ich es war, der schon einmal hier gewesen ist. Es war Georgios. Damals, als er mit Vlads Großvater gegen den orientalischen Drachen angetreten war. Damals hat Georgios etwas zurückgelassen, das ich mir wiedergeholt habe.“ Sie griff an der Seite herunter und zog aus ihrem Umhang ein Kettenhemd, das sie mit einer leichten Bewegung zu mir hinüberwarf. Das Kettenhemd, das ich auffing, war von einer Qualität, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Es war leicht und schmiegte sich fast wie ein seidener Stoff an meine Hand. Die Ringe waren so fein und Stück für Stück verschweißt, dass ich mich fragte, was für Hände der Schmied gehabt haben musste, der diese Arbeit verrichtet hatte.
„Für Euch!“ Rebekka nahm nun ebenfalls einen Schluck von dem Branntwein. „Ich mag unsterblich sein, Ihr seid es mit Sicherheit nicht!“ „Aber ich kann das nicht ann...“, setzte ich an, aber Rebekka unterbrach mich einer herrischen Geste. „Redet keinen Unsinn! Ihr nehmt das Hemd und tragt es unter Eurer Kleidung. Ich brauche Euch, Freiherr von Steinborn, und ich brauche Euch lebend!“ „Ihr habt natürlich recht, meine Liebe, und ich entschuldige mich für diesen dummen Einwand.“ Ich schob das Kettenhemd in meinem Schoß zusammen und versprach, es ab nun ständig am Leib zu haben.
„Noch etwas, Freiherr, bevor ich … unterwegs war, habe ich noch etwas getan.“ Rebekka trank ihr Glas leer, füllte es erneut und schenkte auch mir nach. „Unser französischer Freund befasst sich jetzt gerade mit dem Buch ...“ „Oh, Ihr habt Michel aufgesucht? Sehr gut! Er wird das Geheimnis schon lüften, wie ich ihn kenne. Er kann Rätseln nicht widerstehen.“ „Das ist wahr! Er hat sogar sofort damit angefangen und mich in Erstaunen versetzt. Schon nach ein paar wenigen Blicken in das Büchlein hatte er einen Teil des Rätsels gelöst ...“ Rebekka schmunzelte. „Es sind verschiedene Schriften. Die Buchstaben unterscheiden sich im Aussehen. Er konnte sie drei verschiedenen Aussagen zu ordnen.“
Meine Aufmerksamkeit war geweckt. „Erzählt!“ Rebekka schüttelte ihren Kopf. „Nein, er hat zwar das Rätsel an sich gelöst, aber er muss die Botschaften noch aus dem Text extrahieren. Eine scheint in Latein und die andere in Aramäisch verfasst worden zu sein, aber bei der dritten war sich Nostradamus nicht sicher. Er meinte, der dritte war der kürzeste und damit am schwersten zu entschlüsseln und er müsste erst mehr aus dem Text herauslesen, dann könnte er erkennen, welche Sprache das sein könnte. Ich hoffe inständig, dass der alte Mann seine Erkenntnisse schnell erlangen wird!“
Ein wenig enttäuscht nickte ich. Ich hatte ehrlich einen Moment lang gehofft, dies könnte ein schnelles Ende unseres Abenteuers bedeuten. Ich wollte diesem Bedauern eben Ausdruck verleihen, als Rebekka hochfuhr. Mit zwei Sätzen war sie quer durch das Zimmer gesprungen und riss die Tür zum Gang auf. „Kommt mit, von Steinborn!“ Ich hetzte hinter ihr her, so schnell es mir möglich war. Sie war schon um die nächste Ecke, als ich in den Flur trat. Dort, wo sie hinlief, gab es nur ein Zimmer oder besser eine Reihe von Zimmern. In diesen residierte Vlad, der Dritte Draculea.
Rebekka verschwand soeben in der aufgerissenen Tür, als ich um die letzte Ecke des Gangs rannte. Ich konnte einen Schrei vernehmen, das Klirren von Waffen, dann einen weiteren, grausamen Schrei, gefolgt von einem gutturalen Brüllen … dann Schweigen. Ich stürmte in den Raum und fand ein seltsames Bild vor. Vlad Draculea stand halb nackt auf seinem breiten Bett, in jeder Hand ein Schwert. Vor dem offenen Fenster
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