Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
Drachen zu bannen. Die Sage erzählte, dass die Männer den Drachen mit ihrem Blut ertränkt und durch einen uralten Zauber in Stein verwandelt hatten. Den versteinerten Drachen hatten sie in einer Festung in einem Raum versteckt, auf dass er nie gefunden werden sollte. Eine Gruppe von Ordensbrüdern sollte den Drachen bewachen, aber sie verfielen dem Wahnsinn. Die Macht des Drachen verwirrte den menschlichen Geist, wenn man sich zu lang in seiner Nähe aufhielt.
Die Männer wollten den Drachen wiedererwecken. Vlad der Erste war allein in die Gruft gestiegen und hatte gegen die Wahnsinnigen gekämpft und sie besiegt. Er allein war aus der Gruft zurückgekehrt. Danach wurde die Wachmannschaft, die auf der Feste den Drachen bewachte, alle drei Wochen ausgetauscht. So geschah es viele Jahre lang, bis die Türken unter Osman dem Schrecklichen in das Land der Walachei einfielen und die Festung schleiften. Die Türken machten die Festung dem Erdboden gleich und der Drache wurde unter deren Trümmern begraben, ohne dass die Türken gewusst hätten, was sie da angerichtet hatten.
Der Ort, an dem der Drache schlief, geriet in Vergessenheit, denn nur Vlad Draculea hatte das Geheimnis zuletzt gekannt und die Wachen auf der Drachenburg hatten nie gewusst, was sie da bewachten. Sie glaubten, die Grenzen des Reiches der Woiwoden zu schützen. Als Vlad der Erste starb, starb auch das Wissen um den Ort. Das armselige Dorf über ihren Köpfen war auf den Trümmern dieser Festung errichtet worden, lange Jahre nach dem Überfall der Türken und der Einebnung der Feste. Leopold hatte seit seiner frühesten Jugend die alten Legenden des Drachenordens gehört, waren doch sein Urgroßvater, sein Großvater und ebenso sein Vater ein Mitglied des Ordens gewesen, so, wie nun auch er selbst.
Eine tiefe Befriedigung erfüllte ihn beim Anblick des versteinerten Ungeheuers. Er hatte den Ort gefunden! Er würde nun den Ruhm ernten! Das würde seine Position im Orden enorm stärken. Leopold von Segescin triumphierte innerlich. Er hob seine Fackel hoch über den Kopf und blickte in das steinerne Antlitz des Drachen. Kaum zu glauben, dass dies einmal ein lebendiges Monstrum gewesen war, aber er hatte keine Zweifel, dass dem so war. Von Segescin sah zu seinem Leutnant hinüber, der seinen Herrn nicht aus den Augen gelassen hatte. Der Kriegsherr neigte leicht den Kopf, nur unmerklich.
Der Vernarbte wusste, was er tun sollte. Mit ein paar Schritten war er neben den schweigenden Grothe getreten. Die Bewegung war schnell, kaum wahrzunehmen und von größter Präzision. Der Krieger hatte sie schon oft ausgeführt. Grothe sackte mit aufgeschlitzter Kehle zu Boden und hauchte röchelnd sein Leben aus. Karl Stabener säuberte die scharfe Klinge des Krummdolches an der Kleidung des Sterbenden und schob die Waffe in die Scheide zurück. Der Krieger verachtete die Türken, aber die Waffen der Muslime hatten ihre Vorteile. Ohne den Sterbenden eines weiteren Blickes zu würdigen stieg er über den Körper hinweg und trat neben seinen Herrn.
„Gut“, sagte von Segescin. „So bleibt das Geheimnis auch ein Geheimnis. Niemand darf hiervon erfahren, bis ich entscheide, es zu verkünden.“ Er hob die Arme und rief der steinernen Figur entgegen: „Ich, Leopold von Segescin, habe den Drachen gefunden, den verlorenen Drachen des Drachenordens!“ Sein irres Lachen hallte unheimlich durch den unterirdischen Raum. Dann wandte er sich abrupt um. „Komm, wir gehen. Verschließe den Zugang und sieh zu, dass es keine Zeugen gibt!“ Zwei Stunden später ritt Leopold von Segescin aus dem Dorf, nur begleitet von dem Vernarbten. Auf Karl Stabener konnte er sich verlassen. Der Mann würde für ihn in den Tod gehen.
In der Finsternis des unterirdischen Saals lag der tote Körper von Grothe. Sein Blut gerann langsam in der Kälte und Feuchtigkeit der Gruft. Es sammelte sich in den Furchen auf dem Boden und lief langsam aber stetig zur tiefsten Stelle des Raumes. Der Boden des Stalls war einst absolut eben gewesen, aber das massive Gewicht des steinernen Drachen hatte ihn einsinken lassen. Nicht viel, nur ein unmerkliches bisschen, aber es hatte gereicht, um ein leichtes Gefälle zu erzeugen. Grothes Blut floss langsam auf den Fuß des Drachen zu.
Ein Stein lag im Weg des dünnen Rinnsals. Das Blut staute sich zu einer kleinen Pfütze, sammelte sich, floss um das Steinchen herum, immer weiter, langsam, aber unaufhaltsam. Wäre ein Mensch im Raum gewesen, er hätte das
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