Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
nahmen uns die Zeit, die Festung auf die Schnelle zu durchsuchen. In der Küche fanden wir die zitternde Köchin und auf dem Abort hatte sich der Alte versteckt, der sich um die Diener gekümmert hatte. Alle anderen waren tot. Wir ließen das Kind in ihrer Obhut und sattelten unsere Pferde. Ich drängte zur Eile.
„Ich finde ihre Spur, seid unbesorgt, was dies betrifft.“, erwiderte Rebekka. „Ihr Geruch ist wie ein sichtbares Band für mich, das im Dunklen leuchtet und dem ich nur folgen muss!“ Wir schwangen uns in die Sättel der Pferde und ritten den Serpentinenweg hinunter. Der volle Mond leuchtete wie eine Laterne vom wolkenlosen Himmel herunter, so hell, dass ich keine Sterne außer der Venus und dem Polarstern zu sehen vermochte. So hell, dass auch ich unseren Weg erkennen konnte, auch ohne die Vampirsinne, die Rebekka hatte. Wir trieben unsere Pferde voran, so schnell es möglich war.
22. Kapitel
Vicus setzte den geleerten Becher neben sich im Sand ab. Der Geschmack war bitter, fast schon gallig. Er schloss die Augen. Bevor er den Becher gefüllt hatte, hatte er das Feuer entzündet. Durch die geschlossenen Lider konnte er das Flackern der Flammen wahrnehmen, die Hitze des Feuers auf der Haut spüren. Eine warme Welle rollte vom Magen aus durch seinen Körper, nahm zu, steigerte sich bis zu unerträglicher Hitze. Vicus stand der Schweiß am ganzen Körper. Übelkeit kroch in seinen Därmen hoch, kniff in den Magen und drückte die Speiseröhre hoch. Er durfte das Würgen nicht unterdrücken. Er musste sich übergeben! Vicus schaffte es gerade noch, sich zur Seite zu drehen. Sein Kopf pochte, hallte wider, schmerzte. Jeder Atemzug war eine stundenlange bewusste Anstrengung, eine unendliche Qual. Feuer brannte in seinen Adern, seinen Lungen, seinem Magen. Rotes Blut trat aus seinen Augen und tropfte wie zäher Schleim auf den sandigen Boden.
Dann begann sich im Feuer etwas zu regen. Erst konnte Vicus den Schatten kaum erkennen, dann wurde er deutlicher, nahm festere Konturen an und stand schließlich scharf und deutlich vor seinen Augen. Der fast vier Fuß lange Salamander starrte ihn mit lächelnden Augen an. Seine Zunge war wie eine kleine rote Flamme gegen das Schwarz und Gelb seiner glänzenden Panzerung. Der Schmerz in Vicus Körper ebbte ab und der Schleier vor seinen Augen hob sich. Der Salamander drehte sich um und schritt langsam und bedächtig in das Feuer vor ihm hinein. Vicus stemmte sich hoch und folgte der Echse in die Flammen. Sie war schon oft sein Führer gewesen. Sie geleitete ihn durch die Flammen und durch das Tor zur Anderwelt. Das Licht vor ihm wurde strahlender, gleißender, wurde zu weißem Licht. Vicus schloss die Augen und schritt blind voran. Dann nahm die Helligkeit wieder ab und er öffnete seine Augen wieder.
Er war in der Anderwelt angelangt. Dunkle Schatten zogen vor einem blaugrauen Firmament vorbei. Eine kurze Strecke von ihm entfernt wartete der Salamander. Dann sprang die Echse mit einem Mal nach vorn und war verschwunden. Vicus ging weiter. Der Untergrund wirkte wie erstarrtes Metall, die Luft war wie Wasser um ihn herum, träge und zäh. Ein roter Schatten schälte sich aus dem Grau und verdichtete sich zu einer über mannshohen Figur. Vor Vicus stand ein Wesen, teils Echse, teils Löwe, mit Flügeln gleich einer gigantischen Fledermaus. Stacheln standen von ihm ab und an den Klauen saßen rasiermesserscharfe Krallen. Ein kristallenes Band lief um die Brust des Geschöpfs und ein blutiger Stern mit fünf Zacken thronte auf seiner Stirn. Es bäumte sich vor ihm auf und stieß ein furchtbares Brüllen aus: „Fürchte mich!“
Das Wesen breitete seine riesigen Flügel aus und hob den Blick zum Himmel, an dem sich ein blutroter Mond um eine verbrannte, schwarze Kugel drehte. Der heftige Wind der schlagenden Flügel hätte Vicus fast von den Füßen gerissen. Mühevoll hielt er sich auf den Beinen und stemmte sich gegen die aufgewirbelte Luft. Dann erhob sich das Wesen in die Luft und schwamm mit steigender Geschwindigkeit in die schwefelgelben Wolken auf. Vicus senkte den Blick, um nicht geblendet zu werden. Vor ihm begann der Boden aufzureißen. Eine elfenbeinfarbige Kugel brach hervor, schob sich aus der metallenen Haut. Dann erkannte Vicus, dass es eine Frau war. Die Frau wuchs weiter aus dem Boden heraus, schön und unbehaart, nackt, mit weißen Lippen und einer ebenmäßigen Haut. Sie hatte Dornen statt Nägeln an ihren Fingern und ihre Augen besaßen keine
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