Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
verlassen. Seltsam verwirrt folgte ich ihr. Sie verschloss das Versteck wieder mit der steinernen Platte und wir suchten unseren Weg hinaus aus der Höhle. Den ganzen Rückweg über schwiegen wir. Zurück in unserer Herberge verabschiedete Rebekka sich schnell mit dem Hinweis, wir würden früh wieder im Sattel sitzen und ich bräuchte meinen Schlaf. Ich konnte aber lange keine Ruhe finden. Wie hätte ich können? Die sanfte Berührung von Rebekkas Lippen ging mir nicht aus dem Kopf und brannte auf meinem Mund.
36. Kapitel
Dunkelheit. Eine schwere Last, drückend und feucht. Wie lange hatte er dagelegen? Hassan-i-Sabbah streckte sich und schüttelte die nasse Erde von seinem schmerzenden Körper ab. Was war geschehen? Das Letzte, an das er sich erinnerte, war das Gesicht von Vlad Draculea und die schwere Klinge, die fast in zwei Stücke geschnitten hatte. Er sah sich um. Bäume, Gestrüpp, Büsche. Er war in einem Wald. Wie war er hierhergekommen? Wer hatte ihn hierhergebracht? Hatte Vlad gesiegt und ihn hier verscharren lassen? Wo war Khalil? Wo Halef Omar? Hassan-i-Sabbah sah an seinem nackten Körper herunter. Schmutz und geronnenes Blut überall an ihm sagten ihm, dass er eine ganze Weile im Dreck, unter der Erde gelegen haben musste. Es war, wie es immer gewesen war, seit er sich den Fluch der anderen Welt aufgeladen hatte. Er konnte nicht sterben. Wie lange mochte es dieses Mal gedauert haben, bis er wieder erwacht war?
Unsterblich oder nicht, er verspürte einen nagenden Hunger und eine gewisse Mattigkeit. Hassan blickte sich um. Nichts von seinem Besitz war in seiner Nähe. Er trug nur ein paar blutgetränkte Fetzen, ein paar Ringe an den Fingern und seine Kette mit dem Namen Allahs um den Hals. So konnte er keinesfalls unter Menschen gehen. Sein Anblick würde Aufsehen erregen und ihn in Erklärungsnot bringen und das wollte er unter allen Umständen vermeiden. Er wusste nicht einmal, wo er sich aufhielt. Wo war Norden, wo Osten? Der Himmel war bedeckt und die Sonne nicht zu sehen. Hassan ließ sich ins Gras sinken. Er würde die Nacht abwarten müssen. Wenn es dunkel geworden war, würde er sich in seine andere Gestalt verwandeln. Dann konnte er im Schutz der Dunkelheit fliegen, ohne befürchten zu müssen, dass er gesehen werden würde. Endlich brach die Nacht herein und Hassan leitete die Verwandlung ein. Es strengte ihn unsagbar an, in seinem geschwächten Zustand, aber sein Wille war stärker als die Schwäche seiner Glieder. In seiner anderen Erscheinungsform spürte er die Mattigkeit kaum. Mit kräftigen Flügelschlägen hob er vom Boden ab und erhob sich über die Wipfel der Bäume. Noch immer bedeckten dicke Wolken den Himmel und versperrten den Blick auf Mond und Sterne, aber nach einer Weile tauchten Lichter in der Finsternis auf. Dort unten musste eine Ortschaft sein. Hassan flog tiefer und vergewisserte sich, dass er nicht gesehen wurde. Am Rand des Dorfes landete er, behielt aber seine geflügelte Gestalt bei. Irgendwo bellte ein Hund. Ein leichter Wind bewegte die Blätter und dann fielen die ersten Tropfen. Gut! Kaum jemand würde in einer regnerischen Nacht auf den dunklen Straßen herumlaufen.
Hassan-i-Sabbah ging von Haus zu Haus, immer darauf bedacht, in Deckung zu bleiben. Sicher ist sicher! Dann fand er eine unverschlossene Tür. Er lauschte in die dunklen Räume hinein. Die Bewohner schliefen. Er fand kaltes Fleisch, Brot und einen schmutzigen, einfachen Kittel, linnene Hosen. Schnell raffte er alles zusammen. Dann zog er einen der Ringe ab, die er an den Fingern trug und legte ihn mit einem Lächeln auf den Sims des einfachen Kamins. Die Menschen würden sich wundern, aber er war kein Dieb. Dann verließ er leise das Haus und schwang sich in die Luft.
Er flog einige Minuten weit fort von dem Dorf, bevor er landete und sich in seine menschliche Form zurückverwandelte. Sofort kam der Hunger zurück und er schlang gierig das erbeutete Essen hinunter. Er hatte die Mechanismen der Verwandlung nie ergründet. Weshalb spürte er in der einen Form etwas, das er in der anderen nicht fühlte? Was hatte es mit seiner anderen Gestalt auf sich? Weshalb war sein Blut von so großer Kraft, dass es andere Wesen verwandeln konnte? Diese Geheimnisse waren ihm noch immer verborgen. Er musste sich damit zufrieden geben, dass es war, wie es war.
Hassan fühlte sich nach dieser Mahlzeit einigermaßen gestärkt. Er nahm mit Leichtigkeit seine geflügelte Gestalt an und klemmte sich die
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