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Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Titel: Leichentücher: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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stehen. Er glaubte, die Stimme einer Frau oder eines Kindes zu hören. Helminen sieht fern, dachte er. Der leise gestellte Ton wanderte durch die Station, wenn rundherum Stille herrschte.
    Mikael machte einen zweiten Schritt, bog um die Ecke (kein Helminen) und erstarrte.
    Am Ende des Flurs, unmittelbar vor dem Aufenthaltsraum, stand jemand.
    Mikael jaulte leise auf, stammelte ein primitives Hallo, brachte nichts anderes über die Lippen. Der Verstand sagte ihm, dass es eine Patientin auf dem Weg zur Toilette war. Sein Gefühl sagte etwas anderes.
    Die Gestalt hatte verfilzte Haare, von der Taille abwärts bauschte sich ein Rock oder der untere Teil eines Kleides. Ein Fuß steckte in einem hochhackigen Schuh. Der andere, nackte Fuß war irgendwie verdreht. Das Gesicht lag im Dunkeln.
    »Hallo«, sagte Mikael noch einmal, doch es war nicht mehr als ein Wispern. Er machte einen Schritt auf das Wesen zu. Die Gesichter der Patientinnen zogen an ihm vorbei, doch er konnte keines mit der Gestalt verbinden.
    Mikael blinzelte heftig. Eine Weile blieb die Erscheinung noch da, war unwiderlegbar eins mit den Schatten im Zwielicht,so wie der Blumentopf im Flur und die Farbschicht an den Wänden und Türen.
    Dann war sie weg.
    Mikael stand lange reglos da. Er betrachtete die leere Stelle am Ende des Flurs und dachte nach. Das Nachbild eines Traums. Ein Trugbild seiner Fantasie, die sich durch Allis Worte und Groos’ Geschwätz erhitzt hatte. Vielleicht war er erst jetzt richtig wach. So musste es sein. Er erinnerte sich an einen Freund, der gelegentlich unter Schlaflähmung gelitten hatte. Körper und Geist blieben in einem partiellen Schlafzustand, in dem man beängstigend deutliche Trugbilder sah. Das passierte vor allem in Stressphasen, wenn der Körper nicht wusste, ob er schlafen oder wegrennen sollte.
    Mikael wartete darauf, dass das Kribbeln auf seiner Haut nachließ, sich legte, seine Autorität verlor. Er hörte, wie irgendwo am Ende des Flurs im Frauenflügel die Tür zum Pausenraum aufging. Hörte Helminens Hüsteln, das Klappern der Kanne auf der Heizplatte der Kaffeemaschine.

27
    Die freien Tage, mit denen die Nachtdienste kompensiert wurden, fielen auf das Wochenende.
    Saana war frischer als sonst und weckte ihn schon um elf, als er nach dem letzten Nachtdienst gerade erst drei Stunden geschlafen hatte.
    »Lass uns spazieren gehen«, sagte sie, nachdem sie die Jalousien hochgezogen hatte. Sie hatte sich ihr Kopftuch umgebunden, und ihr Gesicht wirkte im Licht des Herbstmorgens blass, doch ihr Mund lächelte leicht. Früher war das ihr normaler Gesichtsausdruck gewesen.
    »Jetzt gleich?«, fragte Mikael und bemühte sich, den schläfrigen Ärger in seiner Stimme zu unterdrücken. Es stand ihm nicht zu, sich zu beklagen. Für seine Lieben musste man Opfer bringen.
    »Ja, jetzt sofort«, sagte Saana und zog ihm die Decke weg. »Ein einziger Sturm, und das Laub ist ab.«
    Sie wanderten bis Vaskiluoto, machten unterwegs in Hietasaari Halt, um zu fotografieren. Saanas Atem dampfte, als sie das Objektiv ihrer Kamera auf ein rostiges Fahrrad richtete, das an einer krummen Birke lehnte, und Mikael versuchte, den Gedanken zu akzeptieren, dass es mit diesem Dampf vorbei sein konnte. Er wusste, wie die Atmung, anatomisch betrachtet, funktionierte und wie leicht sie zum Stillstand kam. Sie war ein komplizierter mechanischer Prozess, um den der Organismus bis zum Schluss kämpfte. Es gab keinen Trost. Dass die Atmungimstande war, aufzuhören, konnte man als Mensch nicht einfach akzeptieren.
    Mikael schluckte die Trauer gewohnheitsmäßig hinunter. Er musste diesen Moment leben und erst dann trauern, wenn es so weit war, um Saanas willen. Ein Opfer.
    Am Abend tranken sie Wein und sahen sich alte Fotos an. Immer, wenn sie ein Album durchgeblättert hatten, holte einer von ihnen ein neues aus der hellgrünen Aussteuertruhe, die Saana von ihrer Großmutter geerbt hatte.
    Die Truhe war an ihrem provisorischen Platz in der Diele stehen geblieben, wie vieles in ihrer Wohnung, hatte nach und nach Sachen in sich aufgenommen, sich häuslich niedergelassen. Als Mikael den Deckel öffnete, dachte er an Saanas Großmutter, die er nur von einigen Fotos kannte. Eine lachende Frau mit runden Wangen, die offensichtlich wenig Wert darauf gelegt hatte, fotografiert zu werden. In dieser Truhe hatte sie ihr Hab und Gut in die neue Wohnung gebracht, als sie geheiratet hatte, irgendwann vor dem Winterkrieg. Damals hatten die Frauen nicht den Wunsch

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