Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
servieren konnte, wurden die Hummer hinausgetragen und verschlungen, ausgehöhlt, bis sich die leeren roten Panzer in den Keramikschüsseln häuften. Er fragte sich, was Biddy mit dem kranken Hummer gemacht hatte – es war ihm unvorstellbar, dass sie ihn getötet hatte, aber er glaubte auch nicht, dass sie ihn irgendwo ausgesetzt und seinem Schicksal überlassen hatte.
Da alle Gartensessel besetzt waren, holte er einen Stuhl aus dem Esszimmer und ließ sich mit einem Gin-Tonic darauf nieder, dem vierten und stärksten in schneller Folge, der einen dunklen Kreis auf sein Hosenbein schwitzte. Den ersten hatte er sich eingeschenkt, als Livia aus der Küche stolziert war, den zweiten und dritten wenig später, als er seinen Hummer allein im Esszimmer verspeist hatte; er zog es vor, an einem richtigen Tisch zu essen und nicht freischwebend auf der Terrasse oder dem Rasen. An seinem linken Ohr erzählte Dicky eine lange Geschichte über – so meinte er zumindest – Oliver Wendell Holmes. An seinem rechten Ohr lachte Maude trillernd über etwas, das Biddy gesagt hatte. Er war beschwipst. Ziemlich beschwipst. Um ihn herum nahm die Party ziellos Schwung auf, eine Parade ins Nichts. Es war dunkel geworden, und Biddy hatte überall Sturmlaternen aufgestellt und sie mit einem Stabfeuerzeug angezündet. Ihr orangegelber Schein, der vom verschwommenen Rand des Rasens bis in die Mitte der Gästeschar reichte, war wärmer und verlockender als die bleichen, hellen Rechtecke der Türen und Fenster, die jeden, der in der Nähe das Hauses vorüberging, in einen Schattenriss verwandelten. Gesichter und Hände tanzten um die Laternen wie Glühwürmchen. Agatha stand vorgebeugt vor Sterling und schenkte ihm kichernd einen Drink ein, in einer Pose, die förmlich nach Go-Go-Stiefeln und einem knallbunten Stewardess-Kostüm schrie. Sterlings Blick wanderte von ihrem Gesicht über ihren Hals bis hinunter zu ihrer Taille und wieder zurück.
»Und wir besorgten uns einen Haufen leerer Hummerpanzer«, sagte Dicky senior, der offenbar von Mister Gerechtigkeit abgelassen hatte, »ganze Tüten voll, die schonanfingen zu stinken – also, sie waren wirklich schon ziemlich weit – und schütteten sie in die Heizungsschächte des Hauses. Einer von uns, Jeffrey Whitehorse, nahm sich die Haustür vor; er konnte Schlösser knacken. Angeblich hatte er einen Onkel, der Juwelendieb war. Komischer Kerl, dieser Jeffrey. Und wo er schon mal dabei war, klaute er noch das Wappen, das sie sich ausgedacht und irgendwo schnitzen lassen hatten, und wir schickten es dem Premierminister von Island als Geschenk. Am nächsten Tag konnte man das Haus schon drei Straßen weiter riechen. Ein wahnsinniger Gestank, sage ich euch. Es geht doch nichts über vergammelte Krustentiere, wenn’s richtig stinken soll.«
Winn beobachtete Daphne, die sich mit gerötetem Gesicht und Lachtränen in den Augen an Greyson lehnte und eine Flasche alkoholfreies Bier auf dem Bauch balancierte, aber Dickys Art zu erzählen, die vielen präzise artikulierten Vokale und Konsonanten, die seinen dünnen Roosevelt’schen Lippen entströmten, brachte ihn durcheinander. Sie zogen ihn durch einen chaotischen Wirbel von Erinnerungen, und als er auf der anderen Seite wieder auftauchte, musste er sich erst vergewissern, dass da wirklich Dicky sprach, dass er Dickys Adlerprofil im Zwielicht vor sich sah und nicht den dunklen Umriss seines Vaters.
»Nein«, sagte Maude und holte Winn damit zurück in die Gegenwart, »nicht Island. Du meinst Irland. Und er hieß Whitehouse, nicht Whitehorse. Whitehorse klingt, als wäre er ein Indianer.«
»Dann erzähl du doch die Geschichte, meine Liebe.«
Doch Maude hatte bereits das Interesse verloren. »Sterling scheint heute Abend bei den Damen sehr beliebt zu sein«, sagte sie leise.
Agatha und Sterling hatten ein Handschlagspiel begonnen. Sterlings Reflexe funktionierten erstaunlich schnell. Er zog seine Hand unter Agathas heraus und schlug damit auf ihre, bevor sie sie zurückziehen konnte. »Revanche!«, sagte sie, und das Ganze wiederholte sich. »Wie machst du das so schnell?«, rief sie. Livia beobachtete sie über die Sesselansammlung hinweg mit ausdrucksloser Miene, aber dunklen, wachen Augen. Und Celeste, die neben ihr saß, beobachtete alle. Winn wusste nicht, was ihn mehr verstörte: die Vorstellung, dass Sterling mit Agatha schlief oder mit Livia. Das Schlimmste war, dass er auf einmal im gleichen Teich potentieller Partner schwamm.
»Die
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