Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
einzige Art von Veränderungen, für die sie einen Sinn hatten, war die der Kraken, die sich mithilfe ihrer changierenden Haut an die Umgebung anpassten, oder die der Einsiedlerkrebse, die sich durch ihren Hauswechsel immer wieder ein neues, etwas geräumigeres Gefängnis suchten. Dominique würde ihr wahrscheinlich raten fortzugehen, irgendwo neu anzufangen und erst zurückzukommen, wenn sie zu derjenigen geworden war, die sie sein wollte. Doch Livia wusste nicht wie. Es war zu spät für sie, jetzt schon zu spät.
Nachdem der Beifall verklungen war und Greyson Daphne fertig geküsst hatte, konnte man irgendwo in der Ferne einen Dudelsack hören.
»Was ist das, was sie da spielen?«, fragte Oatsie.
Winn sagte: »Ist das nicht Amazing Grace?«
»Dad denkt bei jedem Lied, es wäre Amazing Grace«, sagte Livia. »Er ist so was wie farbenblind, nur für Musik.«
»Du meinst, er ist unmusikalisch?«, meinte Francis.
»Nein«, sagte Livia. »Aber er kennt nur den Namen von einem einzigen Lied.«
»Vielleicht ist es ja Amazing Grace«, sagte Piper.
»Nein«, sagte Dicky junior. »Es ist das aus dem Film über die Titanic.«
» Titanic? «, meldete sich Dominique amüsiert aus ihrer Ecke. »Dicky Duff junior, ich hätte nicht gedacht, dass du so was kennst.«
Dicky junior zuckte die Achseln. »Es ist, wie es ist.«
»Hört mal alle her«, sagte Greyson. »Mein Bruder ist ein zwölfjähriges Mädchen.«
»Im Jahr 1997«, warf Francis ein.
Daphne streckte sich mit einem Seufzer. »Ich muss michhinlegen«, sagte sie und rieb sich über den Bauch. »Vielleicht komme ich noch mal wieder, aber ich glaube eher nicht.«
Winkend und von Greyson eskortiert, verschwand sie im Haus. »Vergiss deine Kakaobutter nicht!«, rief Oatsie ihr nach.
Winn erhob sich. »Noch was zu trinken?«
Ein Chor der Bestellungen erhob sich, und als wieder Ruhe einkehrte, fragte Oatsie: »Was ist mit dir, Livia? Hast du einen Verehrer?«
Livia war sich bewusst, dass nur Celestes schwankende Gestalt sie von Sterling trennte. Sie überlegte einen Moment, was sie antworten sollte, weil sie weder unerreichbar noch allzu verfügbar wirken wollte. Außerdem fragte sie sich, welche Informationen bereits durch Tratsch bei ihm angekommen waren. Doch bevor sie etwas sagen konnte, meldete sich Celeste zu Wort. »Livia weint einem hinterher, der entfleucht ist.«
Livia fuhr herum und starrte sie ungläubig an. Celeste antwortete mit Unschuldsmiene und Achselzucken. Ihre Tante meinte offenbar, sie hätte schon so viel gesehen und so viele romantische Irrungen und Wirrungen durchgemacht, dass sie das Recht hatte, alle um sie herum mit gnadenloser Offenheit zu beglücken, weil es doch jedem klar sein müsse, dass seine Sorgen für den Lauf der Welt nicht weiter von Bedeutung seien.
»Oh?«, sagte Oatsie. »Und wie ist er entfleucht?«
Celeste tippte sich vielsagend an die Nase. »Auf die übelste Art. Ohne Erlaubnis.«
»Wir müssen nicht darüber reden«, sagte Livia.
Oatsies Brillengläser funkelten im Licht der Laternen.»Keine Angst, meine Liebe. Es gibt noch andere Fische im Meer.«
»Ach, wirklich?«, entgegnete Livia erhitzt. »Ich dachte, es gäbe nur einen.«
»Es ist noch nicht aller Tage Abend«, sagte Celeste. »Vielleicht gibt es ja für euch beide eine zweite Hochzeit.«
»Eine zweite Hochzeit? Für wen?«, fragte Piper, die mit zwei Gläsern zurückkam, eins für sich und eins für Dominique.
»Niemanden«, sagte Livia.
»Für Daphne und Greyson«, sagte Sterling und blies eine Rauchwolke aus. »Celeste hat das dunkle Geheimnis gelüftet. Sie waren beide schon mal verheiratet. Nur weiter, Celeste. Du wolltest uns gerade erzählen, wie Daphne als Showgirl gearbeitet hat.«
»Im Golden Nugget«, sagte Celeste prompt. »Sie hat einen Croupier geheiratet. Die Ehe hielt nur einen Monat.«
»Meine Eltern waren beide schon mal verheiratet«, sagte Piper strahlend, wie immer erfreut, eine gute Nachricht vermelden zu können. »Der erste Mann meiner Mutter ist gestorben, und Dads erste Frau ist mit ihrem Augenarzt abgehauen. Aber am Ende wird immer alles gut.«
»Das stimmt«, sagte Livia. »Immer. Hundertprozentig. Wie oft warst du schon verheiratet, Celeste?«
»Oh, ungefähr tausend Mal«, murmelte Celeste um eine Zigarette herum, für die Sterling ihr gerade Feuer gab.
»Mein Mann und ich waren Philanthropen«, sagte Oatsie. »Aber seit er tot ist, habe ich den Geschmack daran verloren.«
Sie fixierte ihren Enkel so eindringlich,
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