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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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Mädchen mochten Sterling schon immer«, sagte Dicky.
    »Weiß der Himmel, warum«, sagte Winn. Maude stieß einen einzelnen, unsicheren Lachtriller aus.
    Da stand Greyson auf und schlug zwei Bierflaschen aneinander. »Leute«, sagte er. »Alle mal herhören.«
    »Er ist ein Prinz. Ein echter Fang«, sagte Maude, dicht an Winns Ohr gebeugt, als verriete sie ihm ein Geheimnis. Er wusste nicht, wen sie meinte. Sie zwinkerte ihm zu und nickte.
    Greyson sang ein Lied, und zwar ein ziemlich langes, das Livia noch nie gehört hatte. Es war altmodisch und anzüglich und bot dem Sänger zahlreiche Gelegenheiten, niederzuknien und mit dramatischer Geste das freudige Pochen eines liebenden Herzens nachzuahmen. Er sang gar nicht mal schlecht, mit einem dünnen Tenor, den Livia vom Weihnachtssingen kannte. Charlie und Francis, beide ehemalige Tigertones, sangen das Backup und steuerten ein paar witzigeSoundeffekte bei. Daphne strahlte. Agatha, stets vom Rampenlicht angezogen, tanzte über den Rasen, bis sie direkt hinter Daphne stand, und sekundierte ihrer Freundin, indem sie mit den Händen den Takt klatschte und die Hüften wackeln ließ. Sie zwinkerte Sterling zu, der sein Glas zum Gruß erhob, und Livia fühlte sich am Boden zerstört. Nie zuvor hätte sie die Behauptung gewagt, dass Daphne schöner sei als Agatha, aber als sie ihre glücksstrahlende Schwester neben der billig auf Show machenden Agatha sah, erkannte sie, dass sie tatsächlich die Schönere war.
    Dominique saß ein wenig abseits, ein Glas in der Hand und verfolgte die Szene mit gequälter Miene, die sie nur schlecht hinter einem nachsichtigen Lächeln verbarg. Sie trug weiße Seglerhosen und eine Bluse aus fester schwarzer Baumwolle mit asymmetrischem Ausschnitt, Arme und Beine hatte sie gekreuzt, und einer ihrer Füße im flachen, silbernen Ballerinaschuh wippte ungefähr im Takt von Greysons Lied. Hoch an ihrem Unterarm saß ein breiter, nahezu flüssig anmutender silberner Armreif, doch davon abgesehen trug sie keinen Schmuck. Schon fast ihr ganzes Leben lang hatte Livia sich gewünscht, Dominique zu sein, und jetzt kehrte das Verlangen mit Macht zurück. Ach, ebenso kühl, unbeteiligt und majestätisch zu sein, mit kurz geschnittenem Haar, auf eine Weise klassisch, die nichts mit Pastelltönen oder albernen kleinen Walen zu tun hatte, sondern mit Eleganz und Coolness! Fand sie alle lächerlich? Livia sehnte sich danach, geheimnisvoller, beherrschter und dezenter in ihrer Farbpalette zu sein, eine Frau, deren Gedanken Anlass zu Spekulationen gaben. Wie zur Antwort rieb sich Dominique über den Arm, griff nach hinten und holte aus der Dunkelheit ein zusammengefaltetes Tuch hervor. Sie schütteltees auseinander, und zum Vorschein kam leuchtendes Gelb und Orange, üppig bestickt mit Blumen, Schlangenlinien und abstrakten Mustern und besetzt mit winzigen Spiegeln, die im Laternenlicht funkelten. Als sie sich das Tuch um die Schultern legte, verwandelte sie sich von einer eleganten, minimalistischen Europäerin in etwas Leuchtenderes, Fesselnderes, einen dunklen Kopf, umspielt von Safran und Kanariengelb, eine Sonnenpriesterin.
    Als Livia heranwuchs, war sie immer überzeugt gewesen, dass Dominique eines Tages ganz in ihren Kreis integriert sein würde, verheiratet mit einem Jungen, wie Daphne sie in Deerfield zum Freund gehabt hatte, mit Wohnsitz irgendwo im Umkreis von New York, immer noch cool, immer noch exotisch, aber zugleich neutralisiert, angepasst, eine glückliche Bekehrte. Ihr Anderssein war Livia umso kostbarer erschienen, als sie angenommen hatte, dass es nicht von Dauer sein würde. Doch stattdessen war Dominique nach Michigan gegangen, obwohl sie auch an der Brown University hätte studieren können, hatte eine Ausbildung zur Köchin gemacht, obwohl sie einen Platz in Wharton hatte, und war nach Belgien gezogen, obwohl sie eine ebenso gute Stelle in Boston hätte haben können. Sie trennte sich von den Kleidern, der Musik, dem Gehabe und den meisten Freunden ihrer Internatszeit, und trotz all dieser Häutungen wirkte sie noch ruhiger, noch mehr mit sich im Reinen als je zuvor. Verwandlung faszinierte Livia, aber sie schreckte davor zurück, ihr eigenes Leben zu verändern. Sich zu verändern wäre gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, dass sie vorher alles falsch gemacht hatte. Die Leute in ihrer Umgebung bemerkten Veränderungen, diskutierten darüber, spekulierten über die damit vermutlich einhergehendeOberflächlichkeit, Eitelkeit. Die

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