Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
und obgleich Havilands leidenschaftliche Liebe zum Ophidian und die Tatsache, dass Tiptons Aufnahme dereinst gescheitert war, für Spannungen sorgte, pflegten die beiden Männer freundlichen Umgang miteinander. Winn hatte Ophelia schon jahrelang mehr oder weniger wahrgenommen, jedoch immer nur als Kind, bis er achtundzwanzig und sie dreiundzwanzig war und sie sich beim Silvesterball im Vespasian küssten. Sie war zwar nicht so hübsch, wie er es gern gehabt hätte (sie hatte leichte Glupschaugen), aber sie war intelligent und sportlich und bei gesellschaftlichen Begegnungen immer eine sehr angenehme Begleiterin, weil er sich darauf verlassen konnte, dass sie ihn nie durch zu großen Ernst oder zu große Gedankenlosigkeit in Verlegenheit brachte. Außerdem war er noch immer der Hoffnung, dass sein neunundzwanzigstes Jahr den Wendepunkt bringen würde, an dem er seinen jugendlichen Leichtsinn hinter sich ließ, und er wertete seine Zuneigung zu Ophelia als Zeichen für seine zunehmende Reife, auch wenn ihm weiterhin die Möglichkeit zu schaffen machte, dass er vielleicht auch eine ebenso ansprechende Frau finden könnte, deren Augen weniger hervorstanden.
Ein halbes Jahr später, an einem heißen Sommerabend, an dem die Fenster des Vespasian weit geöffnet waren, um jede kleinste Brise einzufangen, die des Weges kommen mochte, spielte Winn mit Ophelias Vater Pool, während Ophelia und ihre Mutter sich oben unter dem Dach die Diashow eines Mitglieds über dessen Reise durch die Sowjetunion ansahen. Haviland hatte sich mit Rücksicht auf die Hitze den Kragen aufgeknöpft und die Ärmel hochgekrempelt, aber er war ein langer schlanker, ranker Mann ohne Fehl und Tadel, der niemals körperliches Missbehagen oder Unpässlichkeiten zu erleiden schien, und sein Gesicht wie sein Hemd waren absolut trocken.
Winn, der gerade für seinen nächsten Schuss zielte, fühlte sich durch die dunklen Ringe unter seinen Achseln und den Schweiß auf seinem Gesicht gepeinigt, der ihm, während er sich auf den Stoßball konzentrierte, von der Nase tropfte und einen dunklen Fleck auf dem grünen Tuch hinterließ. Sein Schuss fiel jämmerlich aus. Er nahm seinen Drink von der Fensterbank und wischte sich das Gesicht mit der Cocktailserviette. Haviland marschierte um den Tisch, weißte sein Queue todernst mit Kreide und lochte erst die Sieben und dann die Drei sauber in einer Ecktasche.
»Ich glaube, damit habe ich verloren, Sir«, sagte Winn. Er lehnte in der vergeblichen Hoffnung, dass die schwüle Luft ihn trocknen würde, mit leicht erhobenen Armen an der Fensterbank.
»Hm«, sagte Haviland. »Ja.« Er begab sich an die schmale Seite des Tisches, versuchte abermals mit seinem Queue den Kreidewürfel zu durchbohren, beugte sich vor und visierte mit ausgestrecktem Arm die Acht an. Winn ließ seinen Blick zum Porträt seines Großvaters hinauf wandern. Fredericksah auf dem Gemälde verdrießlich drein, mit Hängebacken und gerunzelter Stirn über der weißen Krawatte.
»Er war schwul, wissen Sie«, sagte Haviland beiläufig. »Mitteltasche.« Er stieß das Queue durch die Finger und schoss den Stoßball mit Schwung auf die Acht. Die Kugel stieß dicht neben der Seitentasche an die Bande und drehte sich auf der Stelle, bis sie zur Ruhe kam.
»Wie bitte?«, fragte Winn.
»Ihr Großvater.« Haviland deutete mit dem Queue über seine Schulter auf das Bild. »Er war schwul.«
Winn lächelte unsicher. Er verstand den Witz nicht. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Wie viel deutlicher kann ich es noch sagen? Er war schwul, eine Schwuchtel, homosexuell. Haben Sie das nicht gewusst? Ihr Schuss.«
Winn war wie vom Donner gerührt. »Ich glaube, Sie verwechseln ihn mit einem anderen. Er war verheiratet. Mein Vater war sein Sohn.«
Über dem Billardtisch hing eine lange Lampe mit einem Schirm, die ihn wie eine Bühne beleuchtete. Haviland legte die Hände auf die Kante und beugte sich ins Licht. Sein Gesicht war vollkommen ernst. »Keine Sorge«, sagte er. »Es ist nicht allgemein bekannt, aber es ist wahr. Vermutlich sind Sie schon Leuten begegnet, die es wissen, aber Ihr Vater hat ausgezeichnet dafür gesorgt, dass die Geschichte vergessen wird, damit Sie davon unbehelligt bleiben. Ich weiß es nur, weil ich zum inoffiziellen Geschichtsschreiber des Clubs geworden bin. Ein paar verstreute Hinweise in alten Briefen haben meine Aufmerksamkeit erregt. Ich bin der Sache nachgegangen. Selbst als Tipton noch lebte, wussten die meisten nichts
Weitere Kostenlose Bücher