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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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den hupenden Autos hindurchschlängelte und in die Station hineinlief. Sie sah sich mit seinen Augen auf der Rolltreppe stehen. Eine zähe Frau, Mitte dreißig, die unerschrocken ihren Tagesablauf absolvierte. Station für Station. Gut, dass sie ihre Arbeit hatte. Gut, dass sie Vincent hatte. In der Manteltasche klingelte schon wieder das Handy. Auf dem Display leuchtete jetzt Nathalies Name auf. Ivy musste laufen, um die nächste Bahn zu bekommen. Es galt, einen Zeitplan einzuhalten. Sie hatte etwas zu erledigen.
    Nathalie schaltete den Ton ihres Handys aus, um nicht die ganze Zeit auf das erlösende Klingeln von Ivys Rückruf zu warten, und trank den Rest ihres kalten Milchkaffees aus. Den klobigen Starbucks-Becher hatte ihr Peer im vorletzten Jahr zum zweiten Hochzeitstag als Scherz vom Potsdamer Platz mitgebracht. Für Nathalie war dieses schaurige Mitbringsel Grund genug gewesen, sich ernsthaft zu fragen, ob sie womöglich den falschen Mann geheiratet hatte. »Du schenkst deiner Frau einen grottigen Starbucks-Becher zum zweiten Hochzeitstag? Willst du damit irgendetwas zum Ausdruck bringen?«
    Peer war sämtliche Freude aus dem Gesicht gewichen. »Bitte?«
    Während des anschließenden Telefonats, das im Badezimmer unter dem Waschbecken stattgefunden hatte, war es Ivy von Notting Hill aus gelungen, ihre aufgebrachte Schwester so weit zu beruhigen, den Starbucks-Becher nicht als Demütigung, sondern als lieb gemeinte Geste eines unbedarften Mannes anzuerkennen. Nathalie hätte jetzt auch wieder Ivys pragmatischen Beistand gebrauchen können. Pragmatismus war Ivys große Stärke. Sie blieb cool. Ivy blieb grundsätzlich cool. Nathalie konnte sich an kein einziges Mal erinnern, dass ihre kleine Schwester die Beherrschung verloren hätte. Wie machte sie das nur? Sie hatte dieses unerschütterliche Selbstbewusstsein eines Menschen, der wusste, dass er von Natur aus etwas ganz Besonderes ausstrahlte. Schon als Kind hatten die Nachbarn mit Verzückung auf Ivy reagierte. Nathalie hingegen hatte gemeinhin als unberechenbar und jähzornig gegolten, als kaum zu bremsende Amazone mit zu Schlitzen verengten Augen und zusammengebissenen Zähnen. In der Schule hatte sie jeden Sportwettkampf gewonnen und ihr Abitur mit Auszeichnung bestanden. Mit leichten Kopfschmerzen hing sie jetzt am Schreibtisch in Peers Arbeitszimmer, dessen Wände mit Regalen voller Aktenordner und Schuhkartons vollgestopft waren, in denen sich vergilbte Fotos und verblasste Quittungen aus den Jahren vor ihrer Ehe befanden. Normalerweise nutzte Nathalie die freien Stunden, bis sie Lucy um zwölf Uhr aus der Kita abholte, um aufzuräumen und das Mittagessen vorzubereiten. Doch heute googelte sie Krankheiten. In der Nacht hatte Lucy herzzerreißend geweint, was überhaupt nicht ihre Art war. Als Nathalie das Licht im Kinderzimmer angeschaltet hatte, waren die Augen ihrer Tochter ganz glasig gewesen. Alarmiert hatte sie Peer aus dem Tiefschlaf geweckt und ihm mehrfach demonstriert, wie empfindlich ihr süßer Wurm reagierte, wenn sie das Deckenlicht im Kinderzimmer an- und ausschaltete. »Siehst du! Sie hält sich den Unterarm schützend vor die Augen! Sie ist absolut lichtempfindlich.«
    Peer war, zu seiner eigenen Verzweiflung, nicht imstande gewesen, seiner Frau glaubhaft zu versichern, dass sie sich geradewegs in eine panische Stimmung hineinmanövrierte. Schluchzend hatte sie mit dem Laptop auf dem Schoß auf dem Sofa gesessen und Peer mit zittriger Stimme die wichtigsten Fakten zum Thema Hirnhautentzündung vorgelesen. »Die häufigsten Symptome einer Meningitis sind Kopfschmerzen und Nackensteifheit, verbunden mit Fieber, Verwirrtheit oder Bewusstseinsminderung, Übelkeit und einer Überempfindlichkeit gegen Licht und laute Geräusche.«
    Peer hatte einen letzten Versuch gestartet, seine Frau wieder in Sicherheit zu wiegen. »Aber, Schatz, du weißt doch gar nicht, ob Lucy unter Nackensteifheit oder Kopfschmerzen leidet.«
    Um den sofortigen Beweis anzutreten, war Nathalie zurück zu ihrer Tochter ins Kinderzimmer gerannt, hatte das Licht angeschaltet, woraufhin Lucy, die gerade wieder eingeschlafen war, vor Schreck angefangen hatte zu weinen. Um keine Zeit zu verlieren, hatte Nathalie ihr einen roten Buntstift, den sie vom Maltisch gegriffen hatte, unters Kinn gehalten. »Schätzchen, tu Mama den Gefallen und halte den Stift mit dem Kinn fest.« Was Lucy nicht gleich hinbekam. Auf die Frage: »Hast du Kopfschmerzen, Schätzchen?«, hatte sie brav

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