Leichte Turbulenzen - Roman
Widerstandes baumelte seit den letzten Castortransporten unter den zerbeulten Briefkästen ein zerfleddertes Banner
KEINE SOZIALEN UNRUHEN IST AUCH KEINE ALTERNATIVE.
Als Nathalie im goldfarbenen BMW über den Kies und um den Brunnen herumgeschossen kam, flatterten die Gänse aufgeregt in ihrem modernden Rinnsal, das sich um den Hof bis hin zur verfallenen Mühle hinter dem Birkenwäldchen zog. Unter den Reifen sprangen knirschend die Kiesel zur Seite weg und prallten gegen seinen dunkelblauen Citroën. Früher wäre Walter vor Entrüstung schlagartig eine Sicherung durchgeknallt, jetzt verspürte er nur noch einen schwach britzelnden Impuls, der sofort erstarb. So, als sei er längst vom Starkstromkabel gekappt worden. Am Morgen hatte er mit seinem Bruder Hans in Buenos Aires telefoniert und für den stetig wachsenden Stammbaum Daten aus der Vergangenheit abgeglichen. Dabei hatten sie sich, wie Walter es nannte, in die Wolle bekommen, da Hans meinte, von Dingen eine Ahnung zu haben, von denen er über die Distanz gar nichts wissen konnte. Walter war drauf und dran gewesen, den Hörer auf die Gabel zu knallen. »Ach! Hör doch auf! Das weißt du doch gar nicht!«
In letzter Zeit fing Hans immer wieder von Veronika an, als hätte man ihn beauftragt, sich detektivisch auf die Suche nach den wahren Beweggründen ihres »Weggangs« zu machen, wie Hans es elegant und doch zynisch formulierte. »Deine Frau war zu modern für dich, ich sage dir das. Zu modern! Sie wollte gar keine Familie. Sie wollte ein bisschen hier, ein bisschen da. Wenn du weißt, was ich meine! Ich hätte dir das gleich sagen können, dass sie nicht scharf drauf ist, mit dir da in der Walachei den Lebensabend zu begehen. Als sie damals wieder angefangen hat zu arbeiten, da wusste ich, eure Zeit ist um, weißt du, was ich meine? … Walter?«
»Nein.«
»Dass dieses Kuhkaff sie eines Tages noch umbringt.«
Walter sah ihr kupferrotes, lockiges Haar wehen. Im Herbst. Unter dem purpurnen japanischen Ahorn im Garten. Wie eine Corona hatten sich ihre Haare in der Sonne glühend um ihren Kopf gelegt. Sie war schön gewesen. Schön und vollkommen, sodass er sich neben ihr ganz mickrig vorgekommen war. Seiner Erinnerung nach hatte Veronika nie Sorge gehabt, in ihrem Leben könnte etwas schieflaufen. Sicherlich hatte er es seiner Frau nicht nur leicht gemacht. Es konnte schon sein, dass er ihr gemeinsames Leben als zu selbstverständlich hingenommen hatte. Aber sie war glücklich gewesen. War sie es nicht?
Er fröstelte.
Sonntagmorgens hatte sie sich, bevor sie aus dem Bett aufgestanden war, noch einmal mit all ihrer Schönheit zu ihm umgedreht, hatte sein Gesicht zärtlich in ihre Hände genommen und ihn geküsst. »Guten Morgen, Liebling.« Unermüdlich war sie im Haus die Treppen hinauf- und hinuntergelaufen. Gelaufen, gelaufen, gelaufen. Um für alle da zu sein.
Walter atmete tief ein.
Das Leben hatte sich um seine Frau formiert. Als hätte sie es mit ihrem fröhlichen Glanz angelockt. Nie wieder wollte er mit dem senilen Hans telefonieren. Er murmelte: »Der spinnt doch!«
Drüben bei Heidi ging das Licht in der Küche an, das sah er durch die beinahe kahlen Äste der umstehenden Erlen. Ihr lieber Schatten bewegte sich am Tisch vorbei, auf dem die Schale mit den Äpfeln stand, die er ihr in einer alten Obstkiste hinübergetragen hatte. Morgen Vormittag hatten sie eigentlich vorgehabt, gemeinsam mit ihren beiden Enkeln zur Reithalle zu gehen, um sich zwei störrische Shettys für einen längeren Spaziergang auszuleihen. Hatte denn seine Frau nicht hierherziehen wollen? Hatten sie sich da missverstanden?
Inzwischen war Nathalie aus dem Wagen ausgestiegen und hatte mit Wucht die Fahrertür zugeschlagen. Jetzt war sie damit beschäftigt, eine Reisetasche nach der anderen aus dem Kofferraum zu zerren und auf dem Kies abzustellen. Wie lange hatte sie denn vor zu bleiben? Die weißen Steinchen knirschten unter Walters Schritten, als er sich, das linke Bein leicht nachziehend, auf den protzigen goldenen Wagen zubewegte. Drinnen, im dunklen Inneren, regte sich Lucy auf dem Rücksitz und quengelte. Nathalie eilte mit den schweren Taschen an ihm vorbei, Richtung Haus.
»Du brauchst mir nicht zu helfen, ich schaff’s schon allein.«
»Ist alles in Ordnung, mein Kind?« Er sah das altbekannte Blitzen in ihren Augen. Manchmal fragte er sich, wie Peer mit ihr klarkam.
»Ihr Männer seid selbstbezogene Waschlappen.«
Damit hetzte sie hinüber zum
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