Leichte Turbulenzen - Roman
besseres Wissen, eine seiner Angestellten zu sich nach Hause eingeladen hatte. Er merkte, wie sich sein Gesicht unter der künstlichen Bräune grünlich verfärbte. »Prima!«
»Na dann!« Ivy schluckte trocken.
Fortier strahlte, wobei sein Gesicht wie tiefgefroren aussah. »Was halten Sie von Pasta?«
»Toll!«
»Klasse! Also, bis dann.« Fortier verschwand eilig aus der Werkstatt, wobei er mit seinem Jackett an der Klinke hängen blieb und es hektisch befreite. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss.
»Okay.« Über die Lösung des Problems würde Ivy später nachdenken. Sie stellte das Glasfläschchen neben den Farbtöpfen ab und nahm das Glasauge mit der smaragdgrünen Iris wieder hoch. Ihr Blick glitt von der spiegelnden Pupille über die Bleistiftzeichnungen, die sie über ihrem Arbeitsplatz an die Wand gepinnt hatte. Sie zeigten Vincents Kopf aus jeder erdenklichen Perspektive. Wie lebendig er wirkte! Als wollte er sie mit sich reißen, zu jenen Orten, an denen er gelebt hatte: Paris, Arles, Saint-Rémy, hinein in die raschelnden, von der Hitze ausgedörrten Felder. Die staubtrockene Platanenallee hinunter. Hand in Hand an der Rhône entlang. Durch Häuserschluchten und an der eingezäunten Arena Romana vorbei. Bis hoch zum sandigen Plateau der Kathedrale Saint-Trophime, von dort über die blassorangenen Schindeln von Arles sehen, weiter bis zu den Zypressenhainen von Saint-Rémy. Wie viel sie inzwischen über ihn wusste!
In ihrer Vorstellung saß Desmond auf dem Drehhocker vor ihrer Arbeitsplatte, locker das Bein übergeschlagen, fröhlich lauschend, was Ivy über van Gogh zu berichten wusste. »Ja, ich bin mir sicher«, sagte sie, »er hat mit sanftem Nachdruck gesprochen.« Ivy lächelte in Desmonds Richtung. Er streckte seinen Arm nach ihrer Hand aus, die einen Holzspatel hielt. Er zog sie zu sich heran und küsste sie. »Es ist so schön, dir in deiner Begeisterung zuzuschauen.«
8.
Nathalie beschlich das quälende Gefühl, niemals mit ihrem Kinderbuch fertig zu werden. Bei Licht betrachtet scheiterte sie schon am ersten Satz. Ein großartiger, welterschütternder, ein absoluter Bestseller sollte es werden. Mindestens so erfolgreich wie Die kleine Raupe Nimmersatt , nur besser. Ermattet lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und legte die nackten Füße auf den Papierkorb, den sie sich vorsorglich unter den langen Esstisch in ihrer hellen Dachgeschosswohnung gestellt hatte. Es war elf Uhr dreißig am Vormittag. In einer halben Stunde musste sie los, Lucy aus der Kita abholen, und niemandem konnte sie von ihrem Problem erzählen. Bei ihrem Vater war seit halb zehn die Leitung besetzt. Und Peer hatte sie schon zweimal im Büro angerufen, nur um zu überprüfen, ob er auch wirklich an seinem Platz saß.
Die Tischplatte war mit Farbstiften und den märchenhaften Illustrationen ihrer Mutter bedeckt, die Nathalie im Haus ihres Vaters im Giebelzimmer gefunden hatte. Dort hingen an den Wänden noch immer die bunten Zeichnungen in mehreren Lagen übereinandergepinnt, wie Blätter an einem Baum. Prinzessinnen in wallenden Gewändern. Pferde. Prinzen. Zwerge. Rosenbüsche. Tauben. Könige. Königinnen. Die böse Fee. Die gute Fee. Ein Bär. Ein Reh. Bäume. Büsche. Eine hellblaue Meise. In der Zimmerecke waren die großen, schwarzen Zeichenmappen ihrer Mutter von Walter übereinandergestapelt worden, daneben hatten Bündel von bunten Stiften, Holzpantinen und die meergrüne Strickjacke ihrer Mutter gelegen. Außerdem lagerten dort noch einige zusammengerollte Webteppiche, getöpferte Vasen, Gesangbücher für Lagerfeuer, die Nathalie und Ivy als kleine Mädchen oben in der New-Age-Kommune in dem Lebensmittelladen vom graubärtigen Inhaber Rusty geschenkt bekommen hatten. Und Das Kochbuch der Findhorn-Familie . Nathalie kannte noch all die Namen der darin enthaltenen Gerichte: Luca’s Nasi Goreng. Mary Coulman’s Rice Pudding. Sophie’s Red Lentil Soup und Hanna’s Moist Apple Cake. Erstaunlich, wie ihre Mutter all ihre Aufgaben, trotz Arbeit, hinbekommen hatte. Nathalie hatte heute Morgen weder die Geschirrspülmaschine ausgeräumt noch im Bioladen eingekauft und auch kein Essen für Lucy gekocht. An diesem Mittag würde es Grießbrei geben, mehr war für sie als voll berufstätige Mutter nicht zu schaffen.
Das Kinderbuchkonzept mit den beiden Feen, die jede Lüge sofort entlarvten, hatte sie bereits wieder verworfen, nachdem Lucy während des ersten Testerzählens gähnend gefragt hatte: »Mama, darf
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